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Was ich dir noch sagen will

Was ich dir noch sagen will

Titel: Was ich dir noch sagen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofie Cramer
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gleichzeitig fühlte sie sich so voller Scham und Trauer.
    Sie ließ sich auf die Küchenbank sinken und vergrub das Gesicht in den Händen.
    Erik war ihr gefolgt, blieb aber in der Tür stehen und sah sie lange Zeit abwartend an. In einem für Lisa unheimlich sachlichen, aber beinahe auch verächtlichen Tonfall sagte er schließlich: «Wie kannst du mich so hintergehen?»
    «Und wie kannst du mich mit all dem so allein lassen?», konterte Lisa. Ihre Stimme war leise, aber gefasst. Sie stand auf, trat ans Fenster und blickte hinaus in die Dunkelheit.
    Dann hörte Lisa, wie Erik aus der Küche ging und offenbar ins Wohnzimmer verschwand. Sie hielt die Luft an und traute sich kaum, zu atmen. Nervös spielte sie mit ihrem Ehering und blickte starr auf den dunklen Hof. Wie lange war es her, dass sie dort die Blaumeisen beobachtet hatte, wie sie spielerisch umeinanderflogen? Was war seitdem passiert?
    Plötzlich stand Erik wieder in der Küchentür und sagte: «Ich muss hier raus.»
    Lisa drehte sich zu ihm um, und es versetzte ihr einen erneuten Stich, als sie sah, dass er seine Jacke wieder angezogen hatte und tatsächlich die Wohnung verlassen wollte.
    «Dann hau doch ab», sagte sie kalt und entschieden.
    Sie blickten sich abschätzig in die Augen.
    Dann drehte sich Lisa wieder in Richtung Fenster und hörte, wie Erik die Wohnungstür hinter sich zuknallte.

[zur Inhaltsübersicht]
19.
    Lisa schnäuzte mittlerweile in das fünfte Taschentuch und atmete tief durch. Obwohl Erik schon vor über einer Stunde abgehauen war, wirbelten ihre Gedanken noch immer wild in ihrem Kopf herum.
    Doch jetzt, da sie sich wieder etwas beruhigt hatte und ihre Tränen getrocknet waren, fühlte sie sich plötzlich unendlich leer. Sie konnte nicht mal sagen, ob sie wütend, enttäuscht, traurig oder gar erleichtert war. Lediglich die Einsamkeit war allgegenwärtig.
    Daran ist einzig und allein Erik schuld, redete sie sich ein. Es hätte eigentlich so ein gemütlicher Abend werden können. Aber nun hatte er es versaut. Mit seiner Ignoranz und Eigenbrötlerei hatte er sie dazu getrieben, ihn so zu provozieren, dass der Streit eskaliert war. Es war wohl der bislang schlimmste, seit sie sich kannten.
    Und wer weiß, fragte sich Lisa. Vielleicht markiert er auch den Anfang vom Ende.
    Vielleicht war ihre Ehe nichts anderes mehr als ein Gerüst, das allein nur noch aus Hoffnung und Sehnsucht nach etwas bestand, von dem Lisa nicht mehr wusste, ob es das überhaupt gab.
    Ob sie sich etwas Warmes anziehen und einen langen Spaziergang machen sollte? Falls Erik zurückkommen und sie suchen würde, sollte er sich ruhig grämen und sich am besten sogar Sorgen um sie machen. Sie würde einfach durch die Nacht spazieren und ihn ordentlich schmoren lassen.
    Lisa zögerte. Oder konnte sie um diese Zeit noch Jutta anrufen, um sich alles von der Seele zu reden? Sie war sich sicher, dass ihre Freundin immer ein offenes Ohr für sie hatte. Doch eigentlich genoss sie es auch ein bisschen, sich in ihre einsame Melancholie fallenzulassen und im Selbstmitleid zu baden. Aber eine Runde um den Block würde sie drehen.
    Frische Luft würde ihr sicher guttun, dachte Lisa.
    Sie stand auf und streifte ihren Wintermantel über. Als sie den Garderobenschrank öffnete, um auch noch ihren Schal und ihre Handschuhe herauszuholen, purzelte ihr plötzlich Lord Helmchen entgegen.
    Das ist ja typisch!, dachte Lisa ärgerlich.
    Eigentlich hatte sie gehofft, Erik würde den Helm in seiner Sporttasche ständig parat gehabt und wenigstens ab und zu tragen. Doch er sah noch immer erschreckend neu und unbenutzt aus.
    Sie fragte sich, ob sie nicht einfach zu viel Rücksicht auf Erik genommen hatte die letzten Wochen. Nur um ihn ja nicht zu nerven oder sich bei ihm unbeliebt zu machen, hatte sie ihn nicht mehr auf den Helm angesprochen und auch nicht auf ihren Wunsch nach einem Kind – und schlimmer noch: ihr Bedürfnis, darüber offen zu reden, hintenangestellt.
    Lisa beschloss, keine Notiz für Erik zu schreiben. Sie würde auch ihr Handy auf der Kommode im Flur liegen lassen.
    Im Grunde hatte Erik sie doch sogar hintergangen, dachte sie, als sie die Tür hinter sich zuzog und durchs Treppenhaus nach unten lief. Seit Beginn ihrer Beziehung stand außer Frage, dass er eine Familie haben wollte. Doch als es dann konkret wurde, ließ er sie im Stich. Mit einem Mal galt nicht mehr, was er gesagt hatte. Stattdessen tat er so, als hätten sie noch ewig Zeit. Dabei war Erik doch Arzt und

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