Was ich dir noch sagen will
und lächelte ihren Bruder tapfer an. «Was machst du eigentlich hier? Möchtest du nicht lieber bei Agnes sein?»
Lenny lächelte sie liebevoll an und antwortete in seiner ruhigen Art: «Sie soll mal wieder richtig ausschlafen …»
«Emi ist jetzt bei uns», ergänzte Hans und deutete in die Richtung, in der Lisa zuvor gesessen hatte. «Sollen wir uns nicht setzen?»
Lisa nickte, und als ihr Bruder sie zu dem Platz führte, wo noch ihre Tasche und ihre Jacke lagen, flüsterte sie ihm ins Ohr: «Es tut mir so leid mit dem Kind.»
Er sah sie aufmunternd an. «Das weiß ich doch.»
«Ich soll dich natürlich auch von Mama ganz lieb grüßen.» Hans hob Lisas Tasche auf, die auf den Boden gefallen war. «Sie sagt, wir sollen sie unbedingt anrufen, wenn wir mehr wissen –»
«O Gott! Ich muss Renate endlich Bescheid sagen», entfuhr es Lisa, «ich konnte es einfach noch nicht.» Sie holte ihr Handy hervor. «Was soll ich ihr denn bloß sagen?» Ihre Hände zitterten noch immer so sehr, dass sie kaum die Tastatur bedienen konnte.
«Lass mich das machen», bot Lenny an.
Hans schüttelte den Kopf und schlug vor, dass sie Eriks Mutter tatsächlich erst informieren sollten, sobald sie ihr auch etwas Konkretes sagen konnten. Denn schließlich ergab es keinen Sinn, wenn sie sich vor lauter Ungewissheit und Angst genauso lange quälte.
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, ging erneut die große Schwingtür auf. Ein großer, drahtiger Mann mit angegrauten Haaren und dunkler Brille betrat den Flur und kam eiligen Schrittes auf sie zu.
Lisa sprang auf, und auch Lenny und Hans erhoben sich von ihren Stühlen.
«Frau Grothe?», fragte der Mann in einem sehr bestimmten Ton. «Ich bin Prof. Weiländer.» Er streckte zuerst Lisa und dann ihrem Vater und ihrem Bruder die Hand entgegen.
Lisa nickte nur. Sie war unfähig zu sprechen und rechnete mit dem Schlimmsten.
«Was ist mit meinem Schwiegersohn?», fragte Hans entschieden, damit der Arzt ohne Umschweife zum Punkt kommen würde.
Prof. Weiländer atmete tief ein und erläuterte dann in langen, für Lisa unerträglich nüchtern formulierten Sätzen, wie es um Erik stand. Offenbar hatte er keine Verletzung der Halswirbelsäule, dafür aber eine epidurale Blutung durch eine Schädelfraktur.
Nur durch einen akustischen Schleier nahm Lisa wahr, dass Lenny den ärztlichen Monolog unterbrach, weil er wissen wollte, ob Erik denn keinen Helm getragen hatte. Als Prof. Weiländer mit Bedauern verneinte, drohte Lisa in sich zusammenzusacken.
Schnell hakte ihr Vater sie unter und stützte sie für den Rest der Ausführungen. Gemeinsam versuchten sie, gefasst den komplizierten medizinischen Erklärungen des Professors zu folgen.
Lisa verstand nur so viel, dass Erik derzeit notoperiert wurde, um die Gehirnblutung zu stillen und den dadurch ansteigenden Schädelinnendruck zu vermindern. Es bestand akute Lebensgefahr, doch die Chance, dass die Ärzte eine erfolgreiche Druckentlastung durch eine Öffnung des Schädels erreichen konnten, war relativ hoch. Sie lag bei etwa 75 Prozent. Aber die Gefahr bleibender Schäden lag immerhin noch bei etwa 20 Prozent.
Prof. Weiländer erklärte, dass es noch Stunden dauern konnte, bis er etwas zum Verlauf der Operation würde sagen können. Er riet ihnen, Eriks Mutter erst am nächsten Morgen anzurufen und sie dann gegebenenfalls abzuholen. Er nickte ihnen aufmunternd zu und marschierte schließlich mit strammen Schritten wieder zurück in den Operationssaal.
Lisa ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. Sie fühlte sich vollkommen leer. Nur schemenhaft beobachtete sie, wie Lenny auf eine Krankenschwester zuging und mit ihr etwas beredete. Ihr Vater nahm sich währenddessen ihr Handy vor, um ihre Mutter anzurufen, wie er sagte. Doch auch seine Worte drangen nicht richtig zu Lisa hindurch. Sie fühlte sich wie in einer luftleeren Blase.
Nach einer Weile – Lisa hätte nicht sagen können, wie viel Zeit verstrichen war – kam die Schwester mit einem Glas Wasser und einer kleinen weißen Tablette auf sie zu. Lenny und Hans redeten behutsam auf sie ein, und Lisa führte die Pille schließlich zum Mund. Das Schlucken erfolgte mechanisch, auch wenn jede Bewegung sie schmerzlich quälte. Dann lehnte sie sich an Lennys Schulter und fiel in einen unruhigen Dämmerzustand.
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21.
Lisas Gedanken waren frei und leise. Sie liebte diese kostbaren Momente zwischen Tag und Traum am Morgen.
Zufrieden lächelnd lag sie auf einer
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