Was ich dir noch sagen will
ihr vorsichtig über den Kopf. «Es wird vermutlich eine Zeit lang dauern, bis alle seine Körperfunktionen wieder ganz normal sind», erklärte er und fügte noch hinzu, dass Erik anfangs Probleme haben dürfte, sich zu artikulieren, auch weil der Beatmungsschlauch nun schon so lang in seinem Hals lag. Nach so langer Intubationszeit würde einem Patienten das Sprechen schwerfallen.
«Dabei müssen wir so viel nachholen», sagte Lisa traurig, und wie zu sich selbst fügte sie noch hinzu: «Wir müssen endlich richtig miteinander reden.»
«Du meinst wegen eurer Streitereien? Wegen eines Kindes?»
Lisa sah ihn erstaunt an. Hatte sie ihm etwa in ihrer Aufregung nach dem Unfall am Telefon davon erzählt?
«Erik hat es mal erwähnt», fügte Knuth zur Erklärung an. «Ich will mich auch nicht einmischen, aber …» Er unterbrach sich, doch Lisa forderte ihn mit einem strengen Nicken auf, weiterzusprechen. «Ich weiß nicht, ob Erik dir diesen Wunsch erfüllen kann oder nicht. Ich weiß nur, dass es absolut nichts mit dir zu tun hat. Jedenfalls nicht so, wie du vielleicht denkst.»
«Woher willst du das wissen?», fragte Lisa, obwohl sie Angst vor dem hatte, was Eriks bester Freund ihr nun sagen würde.
Knuth schwieg einen Moment und dachte nach. «Ich glaube, er hat Panik, dich zu verlieren», erklärte er schließlich.
Lisa sah zu dem scheinbar so friedlich schlafenden Erik und dann wieder zu Knuth.
Konnte das wirklich stimmen?, fragte sie sich.
Dann führte Knuth noch weiter aus: «Jeder Mann hat Angst vor so einer Veränderung. Auch vor der, die eine Frau dabei durchmacht. Das kannst du mir ruhig glauben.» Er lächelte schief.
Lisa schwieg. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, und versuchte vergeblich, sich zu sortieren. Müde ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl sinken und griff nach Eriks Hand. Dann trat Knuth hinter sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
Es tat gut, jetzt nicht allein zu sein mit all ihren quälenden und unausgesprochenen Gedanken.
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28.
Am Nachmittag des nächsten Tages starrte Lisa aus dem großen Atelierfenster auf den tristen Hinterhof und hielt ihren Ehering fest umklammert in der Hand.
Sosehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Auf dem Tisch lag ihr Skizzenblock, in dem erste Ideen für sommerliche Kindermode festgehalten waren. Doch all die fröhlichen Farben und Muster wühlten Lisa nur noch mehr auf. Die erhoffte Ablenkung fand sie hier heute nicht.
Immer wieder schaute sie nervös auf ihr Handy. Jeden Augenblick erwartete sie den Anruf vom Krankenhaus, in dem ihr mitgeteilt werden würde, wann es endlich so weit war. Wann die Ärzte Erik endlich aus dem Tiefschlaf holen würden.
Mit großer Angst musste Lisa an Knuths warnende Worte denken. Immer wieder drehten sich ihre Sorgen um die Fragen: Was ist, wenn Eriks Gehirn doch nachhaltig geschädigt ist? Was ist, wenn er einfach nicht mehr der Alte ist? Was ist, wenn er durch den Unfall so verändert ist, dass er sich nicht mehr zurechtfindet und sie ihm nicht helfen kann? Was ist, wenn sie ihrem Mann nie wieder richtig nahe sein kann?
«Hier, trink was», sagte Jutta in einem fürsorglichen, aber doch bestimmten Ton. Sie stand unvermittelt in der Tür und hielt Lisa einen heißen Tee vor die Nase.
Lisa bemühte sich um ein Lächeln, genauso wie sie es gestern getan hatte, als Knuth versucht hatte, sie zu trösten. Ihr Gespräch an Eriks Krankenbett war merkwürdig gewesen. Noch nie hatte sie überhaupt mehr als drei Sätze allein mit ihm geredet. Sie hatte ihn für einen kalten und egoistischen Macho gehalten. Und nun bereute sie, ihm so lange Zeit unrecht getan zu haben. Er war ein aufmerksamer Zuhörer gewesen und hatte viel von seiner Freundschaft mit Erik erzählt. Seine Worte verfolgten Lisa bis spät in die Nacht, weil Knuth Dinge gesagt hatte, die sie tief bewegten. Sie war ihm dankbar für seine Offenheit und sein Mitgefühl und verstand erst jetzt, warum er Erik schon so lange ein enger und guter Freund war.
«Danke», sagte Lisa nun und trat einen Schritt auf Jutta zu. Sie steckte sich ihren Ring zurück an den Finger, um den wärmenden Becher mit beiden Händen greifen zu können.
«Noch immer nichts?», fragte Jutta besorgt und deutete mit ihrem Kopf auf Lisas Handy.
Lisa schüttelte den Kopf. Seit über 24 Stunden wartete sie nun schon auf den erlösenden Anruf. Doch noch immer lag das Gerät bedrohlich wie ein
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