Was ich dir noch sagen will
allerdings nicht geschafft, ihr Hochzeitsalbum fertig zu machen, obwohl sie es Renate und auch ihren eigenen Eltern fest versprochen hatten.
Lisa stellte den Rechner an, der auf der großen neuen Schreibtischplatte endlich genügend Platz fand. Noch heute würde sie aus den unzähligen digitalen Bildern auf der Festplatte eine Auswahl treffen und sie umgehend online zum Ausdrucken in Auftrag geben.
Wieso nur hatten sie für eine eigentlich so schöne Sache erst einen Punkt auf der Liste erstellen müssen?, fragte sich Lisa kopfschüttelnd. Wieso war in all den Monaten nie genügend Zeit gewesen für Dinge, die eigentlich großen Spaß machen?
Während der Rechner hochfuhr, wühlte Lisa weiter in der Fotokiste und förderte als Nächstes einen dicken Umschlag zutage, in dem lauter Bilder von einem Triathlon aufbewahrt waren. Bei dem Wettkampf hatte Erik zusammen mit Knuth und Martin im vergangenen Frühjahr teilgenommen.
Versonnen betrachtete Lisa ein Foto nach dem anderen und empfand insgeheim ein wenig Stolz, als sie Erik auf einem Bild beim Zieleinlauf ausmachen konnte. Ein weiteres zeigte ihn mit seinem Fahrrad und seinem alten Helm, und sofort stellte sich Lisa die erdrückende Frage, ob Erik jemals wieder der Alte sein würde und sich mit der gleichen Euphorie seinem von ihm so geliebten Sport widmen konnte.
Lisa schob die Bilder vom Wettkampf in eine Ecke des noch recht leeren Schreibtisches, damit es nicht so wehtat, Erik so glücklich in seinem Element sehen zu müssen. Stattdessen wollte sie das erste Mal seit den Flitterwochen endlich einmal wieder ihre Hochzeitsbilder anschauen.
Doch bevor sie sich zu dem entsprechenden Ordner durchklickte, öffnete Lisa schnell noch den Webbrowser, um ihre Mails zu checken. Auch das Outlook-Programm öffnete sie, falls eine dringende Nachricht für Erik gekommen war. Zwar hatte sie die wichtigsten Freunde und natürlich auch seinen Chef umgehend über den Unfall informiert. Aber sie wollte alles richtig machen und sichergehen, dass Eriks Ausfall ihm neben all den Entbehrungen und Schmerzen so wenig Unannehmlichkeiten bereitete wie möglich.
Mit einem komischen Gefühl überflog Lisa nun die Absender der 18 Mails, die in der Zwischenzeit eingegangen waren. Das meiste waren irgendwelche Newsletter, die ihr nicht wirklich wichtig erschienen.
Einen kleinen Stich versetzte es Lisa, als sie sah, dass Eriks Exfreundin Nadine eine Nachricht geschrieben hatte. Lisa wusste zwar, dass die beiden seit Jahren bloß noch eine lockere Freundschaft verband, dennoch war sie für einen kurzen Moment versucht, die Mail zu lesen. Da Lisa aufgrund der belanglosen Betreffzeile aber annahm, dass Nadine von dem Unfall noch gar nichts wusste, entschied sie sich dagegen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob Erik wollte, dass noch weitere Leute von dem Unfall erfuhren. Also bemühte sie sich, den Gedanken an Nadine wieder zu verdrängen.
Dann erregte eine weitere Mail ihre Aufmerksamkeit. Sie stammte von einem gewissen Dr.Florian Sellmann.
«Sellman …», murmelte Lisa leise vor sich hin. Wo hatte sie den Namen schon einmal gehört?
Da das Anliegen mit dem Status «Wichtig» vermerkt war, die Betreffzeile aber bis auf das Kürzel « AW :» für Antwort leer war, musste es sich wohl um eine berufliche Angelegenheit handeln. Lisa entschied, die Mail besser zu öffnen.
Sehr geehrter Herr Dr.Grothe,
gleich nachdem mich Ihre überraschende Nachricht erreicht hat, bin ich Ihrem Rat gefolgt und habe meinen Vater aufgesucht. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht einmal, ob ich noch einen Vater hatte.
Die medizinische Versorgung konnte ich bereits gewährleisten. Alles Persönliche wird sich finden. In jedem Fall bin ich Ihnen sehr verbunden für Ihre überaus freundliche und beispiellose Initiative.
Beste Grüße
Florian Sellmann
Erst nachdem Lisa den Text mit großem Erstaunen ein weiteres Mal gelesen hatte, entdeckte sie unter der langen Signatur einer Klinik in Süddeutschland die ursprüngliche Nachricht von Erik. Dort stand:
Hallo, Herr Sellmann,
da ich Sie telefonisch nicht erreichen konnte, wende ich mich auf diesem Weg mit einem ungewöhnlichen Anliegen an Sie: Es geht um Ihren Vater, Georg Sellmann, den ich vergangene Woche per Zufall kurz kennenlernen durfte. Er erwähnte nicht nur Ihren Namen, sondern auch Ihre medizinische Fachrichtung, sodass es mir als Kollege zwingend notwendig erschien, Sie ausfindig zu machen. Ich tue dies ohne Wissen Ihres
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