Was ich dir noch sagen will
verleihen.
Nachdem sie die Wohnung aufgeschlossen und ihren Mantel ausgezogen hatte, breitete sie die Fotos auf dem neuen Schreibtisch aus. Auch die anderen Utensilien wie den Fotokleber und einen weißen Lackstift legte sie bereit.
Dann betrachtete sie erneut das Bild und versank darin. Erik sah so glücklich und unbeschwert aus. Er grinste sein charmantes Grinsen und wirkte so stark, als ob ihn nichts und niemand erschüttern konnte. Und das nicht nur, weil er Lisa wie ein Fliegengewicht durch die Luft wirbelte, sondern auch, weil er fest und mitten im Leben zu stehen schien. Es durfte einfach nicht sein, dass sein Leben mit einem Schlag ruiniert oder gar vorbei sein sollte!
Der Gedanke schnürte Lisa die Kehle zu. Sie ging in die Küche, um sich ein Glas Saft zu holen und sich ein wenig abzulenken. Als sie trinkend vor dem Kühlschrank stand, fiel ihr Blick auf die Liste, die Erik dort befestigt hatte. Sie schob den Magneten zur Seite und nahm das Blatt Papier zur Hand. Intensiv betrachtete sie die einzelnen Punkte und musste immer wieder schlucken. Sie spürte, wie ihre Beine nachgaben, und ließ sich langsam auf die Küchenbank sinken.
Für den Monat Februar stand dort:
Hochzeitsalben fertigmachen ♥ ♥ ♥
Die Alben …, dachte Lisa, ja, die würde sie schon jetzt fertigmachen, weil es ihr ein glühendes Bedürfnis war. Sie würde Erik damit überraschen. So, wie Lenny es machen würde – spontan und dem Herzen folgend statt nach einem kalkulierten Plan.
Alle anderen Vorhaben aber sollten nicht mehr melancholiegeschwängert ihre noch so vage Zukunft überlagern, sondern einfach, so gut es eben ging, gelebt werden.
Wie in Zeitlupe knüllte Lisa die Liste zusammen, stand mühevoll auf und warf das Papier in den Mülleimer. Obwohl sie seit heute Vormittag im Laden nichts mehr gegessen hatte, ging sie wieder zurück an den Schreibtisch, um sich dem Album zu widmen. Sie hatte ohnehin keinen Appetit.
Ihr Blick streifte über das edle, taubenblaue Album und die vielen Bilder, die darauf warteten, endlich einen würdevollen Platz darin zu bekommen.
Zunächst brachte sie die Fotos in eine chronologische Reihenfolge – angefangen bei den beiden Junggesellenfeiern, die sie spät in der Nacht auf dem Hamburger Kiez zusammengeführt hatten.
Die Erinnerung an den Abend zauberte Lisa den Hauch eines Lächelns ins Gesicht. Auf Juttas Initiative hin war sie zunächst mit ein paar Freundinnen, ihrer Mutter und Agnes beim «Mamma-Mia»-Musical gewesen, das für alle ein Riesenspaß bedeutete. Anschließend waren sie eine Kleinigkeit essen gegangen, bis sie schließlich wie verabredet auf die Männerrunde stießen. Bis heute schwiegen sich die Jungs und Lisas Vater darüber aus, wie genau ihr Abendprogramm verlaufen war. Und das sorgte immer wieder für Anlass zu lustigen Vermutungen zwischen den beiden Geschlechtern in der Familie.
Den nächsten Höhepunkt der Hochzeit bildete der Termin beim Standesamt im Hamburger Rathaus und das anschließende Mittagessen im engsten Kreis.
Wie klein Emi damals noch war!, dachte Lisa, als sie versonnen das Gruppenfoto betrachtete, das der Kellner gemacht hatte, während sie mit Champagner anstießen.
Und wie immer hatte sie den Eindruck, als sei die Runde ohne Oma Helene einfach nicht komplett. Die Heirat hätte ihr sicher große Freude bereitet. Wie schade, dass sie und Erik sich nicht einmal mehr kennenlernen konnten. Und nun schien Erik selbst dem Tod so nahe …
Komm zurück! Komm zurück!
Immer wieder tauchten diese Worte vor Lisas geistigem Auge auf wie ein riesiges, grelles Reklameschild, das sich auf alle Zeit leuchtend in die Erinnerung brennt.
Bitte, mein Lieber, komm zurück!
Es gibt doch noch so unendlich viel, was ich dir sagen will.
1000 Küsse und ...
Diese Nachricht hatte Lisa heute unter Eriks Kopfkissen zurückgelassen, und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass ihre Worte ihn erreichten. Wenn er doch nur endlich wieder bei ihr sein würde!
Ich kann nicht mehr, dachte sie und seufzte.
Dann begann sie langsam damit, sämtliche Bilder von der eigentlichen Hochzeitsparty auf einen dritten Stapel zu sortieren. Obwohl seit dem großen Tag gerade mal etwas über ein Jahr vergangen war, erschien ihr die Feier eine Ewigkeit her. So vieles war in der Zwischenzeit passiert: die Eröffnung des Ladens, die Flitterwochen, der Flugzeugabsturz, Agnes’ verlorenes Kind, der Unfall …
Lisa seufzte erneut schwer, ermahnte sich aber sofort, ja nicht
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