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Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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ihr die Schuld geben und ihr alles anlasten würde. Wir hatten Glück, merkte ich. (Wir?) Ihre ständige Erwartung und ihr genüssliches Auskosten von Unglück machten Dotty ungeeigneter als fast irgendjemanden sonst, um nachzuforschen, was genau schiefgegangen war. Nachdem der Wasserpegel ein wenig gesunken war, ging sie in ihr Schlafzimmer, zog sich etwas an, auch Stiefel, die sie erst ausschütten musste, holte sich ihren Besen und half mir.
    »Gibt’s was, was mir nicht passiert? Ich lasse mir nie die Zukunft vorhersagen. Ich habe Freundinnen, die sich ständig die Zukunft vorhersagen lassen, und ich sage zu denen, lasst mich in Ruhe, denn wenn ich eins weiß, dann, dass sie nicht gut wird.«
    Ich ging nach oben und rief die Universität an, um Hugo zu erreichen. Ich sagte, es sei ein Notfall, und sie trieben ihn in der Bibliothek auf.
    »Er ist vollgelaufen.«
    »Was?«
    »Er ist vollgelaufen. Dottys Wohnung steht unter Wasser.«
    »Ich habe die Pumpe angestellt.«
    »Den Teufel hast du. Heute Morgen hast du sie erst wieder angestellt.«
    »Heute Morgen war ein Wolkenbruch, und die Pumpe wurde damit nicht fertig. Das war, nachdem ich sie wieder angestellt hatte.«
    »Die Pumpe ist gestern Nacht nicht damit fertiggeworden, weil die Pumpe gestern Nacht nicht an war, und erzähl mir nichts von irgendeinem Wolkenbruch.«
    »Es gab aber einen. Du hast noch geschlafen.«
    »Du hast keine Ahnung, was du angerichtet hast, wie? Du bist ja nicht mal hier, um es dir anzuschauen. Ich muss es mir anschauen. Ich muss damit zurande kommen. Ich muss dieser armen Frau zuhören.«
    »Stopf dir die Ohren zu.«
    »Halt den Mund, du widerlicher moralischer Krüppel.«
    »Tut mir leid. War bloß Spaß. Tut mir leid.«
    »Tut dir leid, tut dir leid! Diese Schweinerei hast du verursacht, und ich habe dir gesagt, du wirst sie verursachen, und dir tut’s leid.«
    »Ich muss zu einem Seminar. Tut mir leid. Ich kann jetzt nicht reden, es hat jetzt keinen Sinn, mit dir zu reden, ich weiß nicht, was du von mir hören willst.«
    »Ich will nur, dass du es dir klarmachst!«
    »Gut, ich mache es mir klar. Obwohl ich immer noch sicher bin, dass es heute Morgen passiert ist.«
    »Du machst es dir nicht klar. Du machst dir nie etwas klar.«
    »Du dramatisierst.«
    » Ich dramatisiere!«
    Das Glück blieb uns treu. Anders als Dotty war Dottys Mutter keine, die sich ohne Erklärungen zufriedengab, und immerhin waren es ihre Fußbodenfliesen und Holzfaserplatten, die kaputtgegangen waren. Aber Dottys Mutter war krank, das kalte, nasse Wetter hatte auch ihr zugesetzt, und sie wurde genau an jenem Morgen mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert. Dotty zog ins Haus ihrer Mutter und kümmerte sich um die Pensionäre. Der Keller verströmte einen widerwärtigen Modergeruch. Wir zogen auch aus, wenige Zeit später. Kurz bevor Clea geboren wurde, übernahmen wir ein Haus in Nord-Vancouver, das Freunden gehörte, die nach England gegangen waren. Der Streit zwischen uns legte sich in der Aufregung des Umzugs; er wurde nie ganz bereinigt. Wir änderten kaum die Standpunkte, die wir am Telefon eingenommen hatten. Ich sagte, du machst es dir nicht klar, du machst dir nie etwas klar, und er sagte, was willst du von mir hören? Warum regst du dich so darüber auf, fragte er ganz vernünftig. Jeder könnte das fragen. Lange nach meiner Trennung von ihm fragte ich mich das auch. Ich hätte die Pumpe anstellen können, wie ich schon sagte, und die Verantwortung für uns beide übernehmen können, wie es eine geduldige, realistische Frau, eine richtige Ehefrau, getan hätte, wie es Mary Frances getan hätte, bestimmt viele Male tat, in den zehn Jahren, die ihr vergönnt waren. Oder ich hätte Dotty die Wahrheit sagen können, obwohl sie keine gute Wahl für solch ein Geständnis war. Ich hätte es jemandem sagen können, wenn ich es für wichtig genug gehalten hätte, und Hugo in die unerfreuliche Welt hinausstoßen, ihm Unannehmlichkeiten bereiten können. Aber ich tat es nicht, ich war nicht fähig, ihn völlig zu beschützen oder allem auszusetzen, ich konnte ihn nur mit Vorwürfen überhäufen, manchmal mit dem verzweifelten Gefühl, ich müsse seinen Kopf aufreißen, um meine Sichtweise hineinzugießen, meine Vorstellung davon, was selbstverständlich war. Welche Anmaßung, welche Feigheit, welch Mangel an Vertrauen. Unvermeidlich. »Sie haben ein Problem der Unvereinbarkeit«, sagte uns die Eheberaterin eine Weile später. Auf dem trostlosen

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