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Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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lebte er in einer Welt, deren Bedrohungen und Bestrafungen mir so fremd, so unverständlich waren, als wäre er ein Geisteskranker. Er saß bleich und angewidert beim Abendessen; er krümmte sich in wütender Lähmung über seiner Schreibmaschine zusammen, wenn ich etwas aus dem Schlafzimmer holen musste, oder er sprang im Wohnzimmer umher und fragte mich, was er war (ein Rhinozeros, das sich für eine Gazelle hält, der Vorsitzende Mao, der einen Kriegstanz tanzt in einem Traum, den John Foster Dulles träumt), und küsste mich dann mit hungrigen, schmatzenden Geräuschen überall auf den Hals. Ich war von der Quelle dieser guten oder schlechten Laune abgeschnitten, ich hatte keinen Einfluss darauf. Ich hänselte ihn verdrossen:
    »Angenommen, das Baby ist schon da und das Haus steht in Flammen, und das Baby und das Stück sind beide im Haus, welches würdest du retten?«
    »Beide.«
    »Aber angenommen, du kannst nur eins retten? Vergiss das Baby, angenommen, ich bin da drin, nein, angenommen, ich ertrinke hier und du bist da und kannst uns unmöglich beide erreichen …«
    »Du machst es mir schwer.«
    »Ich weiß. Ich weiß. Du musst mich doch hassen?«
    »Natürlich hasse ich dich.« Danach konnte es sein, dass wir ins Bett gingen, verspielt kämpfend, kreischend, erregt. Unser ganzes Zusammenleben, der erfolgreiche Teil unseres Zusammenlebens, bestand aus Spielen. Wir dachten uns Gespräche aus, um die Leute im Bus zu erschrecken. Einmal saßen wir in einem Bierlokal, und er beschimpfte mich, weil ich mit anderen Männern ausging und die Kinder allein ließ, während er draußen im Wald für unseren Lebensunterhalt schuftete. Er flehte mich an, meine Pflichten als Ehefrau und Mutter nicht zu vergessen. Ich blies ihm Rauch ins Gesicht. Die Leute um uns herum schauten streng und befriedigt drein. Als wir draußen auf der Straße waren, lachten wir, bis wir uns an eine Wand lehnen und gegenseitig stützen mussten. Im Bett spielten wir, dass ich Lady Chatterley war und er Mellors.
    »Wo steckt dieser kleine Schlingel John Thomas?«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich kann John Thomas nicht finden!«
    »Tut mir schrecklich leid, ich muss ihn wohl verschluckt haben«, sagte ich damenhaft.

    Im Keller befand sich eine Wasserpumpe. Sie machte ein stetiges, stampfendes Geräusch. Das Haus stand in ziemlich tief gelegenem Gelände nicht weit vom Fraser River, und bei Regenwetter musste die Pumpe fast die ganze Zeit über arbeiten, damit der Keller nicht volllief. Wir hatten einen dunklen, verregneten Januar, wie es in Vancouver üblich ist, und dem folgte ein dunkler, verregneter Februar. Hugo und ich, wir waren beide niedergeschlagen. Ich schlief viel. Hugo konnte nicht schlafen. Er behauptete, es war die Pumpe, die ihn wach hielt. Tagsüber konnte er ihretwegen nicht arbeiten, und nachts konnte er ihretwegen nicht schlafen. Die Pumpe hatte Dottys Klavierspiel ersetzt als das, was ihn in unserem Haus am meisten erboste und deprimierte. Nicht nur wegen ihres Geräuschs, sondern auch wegen des Geldes, das sie uns kostete. Ihre gesamten Kosten landeten auf unserer Stromrechnung, obwohl es Dotty war, die im Keller wohnte und den Nutznieß davon hatte, dass er nicht volllief. Er sagte, ich solle mit Dotty reden, und ich sagte, Dotty könne ihre Fixkosten schon jetzt nicht bezahlen. Er sagte, sie könne ja mehr Nummern schieben. Ich sagte ihm, er solle den Mund halten. Als ich im Laufe meiner Schwangerschaft langsamer und schwerer wurde und mehr ans Haus gebunden war, kam ich Dotty näher, gewöhnte mich an sie, merkte mir nicht mehr ständig, was sie sagte, um es weiterzuerzählen. Ich fühlte mich mit ihr zusammen wohler als manchmal mit Hugo und unseren Freunden.
    Na gut, sagte Hugo, dann müsse ich eben die Hauswirtin anrufen. Ich sagte, er müsse sie anrufen. Er sagte, er habe viel zu viel zu tun. In Wahrheit schraken wir beide vor einer Konfrontation mit der Hauswirtin zurück, denn wir wussten im Voraus, dass sie uns mit schrillem, ausweichendem Geplapper verwirren und in die Flucht schlagen würde.
    Mitten in der Nacht in der Mitte einer verregneten Woche wurde ich wach und fragte mich, was mich geweckt hatte. Es war die Stille.
    »Hugo, wach auf. Die Pumpe ist kaputt. Ich höre die Pumpe gar nicht.«
    »Ich bin wach«, sagte Hugo.
    »Es regnet immer noch, und die Pumpe geht nicht. Sie muss kaputt sein.«
    »Nein, ist sie nicht. Sie ist abgestellt. Ich habe sie abgestellt.«
    Ich setzte mich auf und machte das Licht

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