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Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Sie später Hunger kriegen.«
    »Ich verrate Ihnen mal was. Ich werd nicht mehr lange hier sein.«
    »Werden Sie heiraten?«
    »Ha-ha. Wann, haben Sie gesagt, kommen sie zurück?«
    »Um fünf.«
    »Na, bis dahin bin ich hier verschwunden. Mit dem Flugzeug kommt man weiter als mit dem Auto.« Er wickelte den Kuchen aus und aß geistesabwesend noch ein Stück.
    »Jetzt werden Sie Durst haben.«
    »Im Eimer ist noch Wasser.«
    »Das wird nicht kalt sein. Ich könnte frisches holen. Und Eiswürfel aus dem Kühlschrank.«
    »Nein«, sagte er. »Ich will nicht, dass du gehst. Ich will mich richtig schön von dir verabschieden.«
    Er legte den Kuchen sorgfältig weg, setzte sich wieder neben mich und gab mir ganz kleine Küsse, so zart, dass ich gar nicht daran denken darf, so lieb sein Gesicht und solche lieben Küsse, auf die Augenlider, den Hals und die Ohren, überall, dann erwiderte ich seine Küsse, so gut ich konnte (ich hatte davor nur einen Jungen als Mutprobe geküsst und zum Üben meine Arme), und wir legten uns auf die Pritsche und schmiegten uns aneinander, ganz sanft, und er machte noch anderes, nichts Schlimmes oder nicht auf schlimme Art. Es war herrlich in dem Zelt, dieser Geruch nach Gras und heißer Zeltleinwand, auf die die Sonne niederbrannte, und er sagte: »Ich würde dir um nichts in der Welt etwas antun.« Dann, als er auf mir lag und wir irgendwie zusammen auf der Pritsche schaukelten, sagte er leise: »Oh, nein«, machte sich los, sprang auf und holte den Wassereimer. Er spritzte sich etwas auf Hals und Gesicht und das bisschen, das noch übrig war, auf mich, die ich noch dalag.
    »Das wird uns abkühlen, Miss.«
    Als wir uns verabschiedeten, war ich überhaupt nicht traurig, denn er hielt mein Gesicht in den Händen und sagte: »Ich werde dir einen Brief schreiben. Ich werde dir schreiben, wo ich bin, und vielleicht kannst du mich besuchen kommen. Würdest du das gerne tun? Also gut. Du wartest.« Ich glaube, eigentlich war ich froh, von ihm fortzukommen, es war, als überhäufte er mich mit Geschenken, an denen ich mich gar nicht freuen konnte, erst, wenn ich sie alleine betrachtete.

    Anfangs gab es keine Bestürzung, weil das Flugzeug fort war. Sie dachten, er machte einen Rundflug, und ich klärte sie nicht auf. Dr. Peebles hatte angerufen, dass er über Land fahren musste, also waren nur wir zum Abendessen da, und dann steckte Loretta Bird den Kopf zur Tür herein und sagte: »Wie ich sehe, ist er weg.«
    »Was?«, sagte Alice Kelling und schob ihren Stuhl zurück.
    »Die Kinder sind heute Nachmittag gekommen und haben mir erzählt, dass er sein Zelt abbaut. Hat er gedacht, er ist mit seiner Kundschaft hier durch? Er ist doch nicht abgehauen, ohne Ihnen was zu sagen?«
    »Er wird mir Bescheid geben«, sagte Alice Kelling. »Wahrscheinlich wird er heute Abend anrufen. Er ist schrecklich unruhig seit dem Krieg.«
    »Edie, hat er denn was davon erwähnt?«, fragte Mrs. Peebles. »Als du ihm die Nachricht überbracht hast?«
    »Ja«, sagte ich. So weit, so wahr.
    »Warum hast du denn nichts gesagt?« Alle schauten mich an. »Hat er gesagt, wo er hin will?«
    »Er hat gesagt, vielleicht versucht er’s mit Bayfield«, sagte ich. Wieso erzählte ich solch eine Lüge? Ich hatte nicht vorgehabt, zu lügen.
    »Bayfield, wie weit ist das?«, fragte Alice Kelling.
    Mrs. Peebles sagte: »Dreißig, fünfunddreißig Meilen.«
    »Das ist nicht weit. Nein, wirklich überhaupt nicht weit. Das liegt doch am See?«
    Man sollte meinen, ich schämte mich dafür, sie so auf die falsche Spur zu bringen. Ich erfand das, um ihm mehr Zeit zu geben, die Zeit, die er brauchte. Ich log für ihn, und auch, das muss ich zugeben, für mich. Frauen sollten zusammenhalten und so etwas nicht tun. Das sehe ich jetzt ein, aber damals nicht. Ich kam überhaupt nicht auf die Idee, dass ich irgend wie sie war oder je dieselben Probleme haben würde.
    Sie ließ mich nicht aus den Augen. Ich war sicher, sie hatte mich im Verdacht, zu lügen.
    »Wann hat er das zu dir gesagt?«
    »Schon vor einer Weile.«
    »Als du drüben beim Flugzeug warst?«
    »Ja.«
    »Du musst auf ein Schwätzchen geblieben sein.« Sie lächelte, aber es war kein freundliches Lächeln. »Du musst länger bei ihm geblieben sein.«
    »Ich habe ihm einen Kuchen gebracht«, sagte ich, denn ich dachte, ein Stück von der Wahrheit würde mir die ganze Wahrheit ersparen.
    »Wir hatten keinen Kuchen«, sagte Mrs. Peebles ziemlich scharf.
    »Ich hab einen

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