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Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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gebacken.«
    Alice Kelling sagte: »Das war sehr nett von dir.«
    »Hattest du die Erlaubnis?«, fragte mich Loretta Bird. »Man weiß nie, was diesen Mädchen als Nächstes einfällt«, sagte sie in die Runde. »Gar nicht mal, dass sie’s böse meinen, sie sind eben ahnungslos.«
    »Auf den Kuchen kommt es nicht an«, fiel Mrs. Peebles ein. »Edie, mir war gar nicht klar, dass du Chris so gut kanntest.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    »Überrascht mich überhaupt nicht«, sagte Alice Kelling mit hoher Stimme. »Ich wusste es, sowie ich sie gesehen habe. Solche landen andauernd bei uns im Krankenhaus.« Sie sah mich durchdringend mit ihrem schmalen Lächeln an. »Um ihre Babys zur Welt zu bringen. Wir müssen sie wegen ihrer Geschlechtskrankheiten in einer Spezialstation unterbringen. Kleine Stricherinnen vom Land. Vierzehn, fünfzehn Jahre alt. Und Sie sollten erst mal die Babys sehen.«
    »Hier in der Stadt war mal eine, die kriegte ein Baby, dem Eiter aus den Augen lief«, flocht Loretta Bird ein.
    »Moment mal«, sagte Mrs. Peebles. »Was soll dieses Gerede? Edie. Was ist mit dir und Mr. Watters? Warst du mit ihm intim?«
    »Ja«, sagte ich. Ich dachte daran, wie wir auf der Pritsche gelegen und uns geküsst hatten, war das etwa nicht intim? Und ich würde es nie leugnen.
    Alle waren eine Minute lang still, sogar Loretta Bird.
    »Tja«, sagte Mrs. Peebles. »Ich bin überrascht. Ich glaube, ich brauche eine Zigarette. Solche Neigungen sehe ich an ihr zum ersten Mal«, erklärte sie Alice Kelling, aber Alice Kelling sah nur mich an.
    »Schamloses kleines Luder.« Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Ein schamloses kleines Luder, das bist du! Ich wusste es, sowie ich dich gesehen habe. Männer verachten Mädchen wie dich. Er hat dich nur benutzt und ist auf und davon, weißt du das nicht? Mädchen wie du sind nichts, bloß öffentliche Bedürfnisanstalten, bloß schmutzige kleine Putzlappen!«
    »Also bitte«, sagte Mrs. Peebles.
    »Schmutzig«, schluchzte Alice Kelling. »Schmutziger kleiner Putzlappen!«
    »Regen Sie sich nicht so auf«, sagte Loretta Bird. Sie war ganz aufgebläht vor Vergnügen, diese Szene mitzuerleben. »Die Männer sind doch alle gleich.«
    »Edie, ich bin sehr überrascht«, sagte Mrs. Peebles. »Ich dachte, deine Eltern sind so streng. Du willst doch wohl kein Baby kriegen?«
    Ich schäme mich immer noch für das, was dann passierte. Ich verlor die Beherrschung und fing an zu heulen wie eine Sechsjährige. »Man kriegt kein Baby, wenn man nur das tut!«
    »Da sehen Sie’s. So ahnungslos sind manche von denen«, sagte Loretta Bird.
    Aber Mrs. Peebles sprang auf, packte meine Arme und schüttelte mich.
    »Beruhige dich. Werd nicht hysterisch. Beruhige dich. Hör auf zu weinen. Hör mir zu. Hör zu. Ich habe meine Zweifel, ob du weißt, was intim sein bedeutet. Jetzt sag es mir. Was dachtest du, was es bedeutet?«
    »Küssen«, heulte ich.
    Sie ließ mich los. »Ach, Edie. Hör auf. Sei nicht albern. Alles in Ordnung. Das ist alles ein Missverständnis. Intim sein bedeutet wesentlich mehr als das. Ich hatte ja gleich meine Zweifel!«
    »Jetzt versucht sie es zu vertuschen«, sagte Alice Kelling. »Ja. So dumm ist sie nämlich nicht. Sie merkt, dass sie sich in Schwierigkeiten gebracht hat.«
    »Ich glaube ihr«, sagte Mrs. Peebles. »Das ist eine schreckliche Szene.«
    »Es gibt die Möglichkeit, das festzustellen«, sagte Alice Kelling und stand auf. »Schließlich bin ich Krankenschwester.«
    Mrs. Peebles sog den Atem ein und sagte: »Nein. Nein. Geh auf dein Zimmer, Edie. Und hör mit dem Geheul auf. Das ist ja abscheulich.«
    Wenig später hörte ich das Auto wegfahren. Ich versuchte, mit dem Weinen aufzuhören, kämpfte gegen jede Welle an, die mich überkam. Schließlich gelang es mir, und ich lag schwer atmend auf dem Bett.
    Mrs. Peebles kam und stand in der Tür.
    »Sie ist fort«, sagte sie. »Diese Bird auch. Du weißt natürlich, du hättest nie zu diesem Mann gehen dürfen, und das ist der Grund für all diesen Ärger. Ich habe Kopfschmerzen. Sobald du kannst, wasch dir das Gesicht mit kaltem Wasser und mach dich an den Abwasch, und wir werden kein Wort mehr darüber verlieren.«

    Was wir auch nicht taten. Erst Jahre später wurde mir das Ausmaß dessen klar, was mir erspart geblieben war. Mrs. Peebles war hinterher nicht sehr freundlich zu mir, aber sie war anständig. Nicht sehr freundlich ist die falsche Beschreibung für ihr Verhalten. Sie war nie sehr

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