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Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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freundlich gewesen. Nur dass sie mich jetzt ständig sehen musste, und das ging ihr ein wenig auf die Nerven.
    Ich für mein Teil verbannte das alles aus meinen Gedanken wie einen bösen Traum und konzentrierte mich darauf, auf meinen Brief zu warten. Die Post kam jeden Tag außer sonntags, immer zwischen halb zwei und zwei Uhr nachmittags, eine gute Zeit für mich, weil Mrs. Peebles dann ihr Mittagsschläfchen hielt. Ich machte in der Küche alles sauber, dann ging ich zum Briefkasten, setzte mich ins Gras und wartete. Ich war vollkommen glücklich, während ich wartete, ich vergaß alles, Alice Kelling und ihren Kummer und ihr schreckliches Gerede, Mrs. Peebles und ihre Frostigkeit und die Peinlichkeit, ob sie es Dr. Peebles erzählt hatte, das Gesicht von Loretta Bird, die sich an den Problemen anderer Leute weidete. Ich lächelte immer, wenn der Postbote kam, lächelte auch noch, nachdem er mir die Post gegeben und ich gesehen hatte, dass heute nicht der große Tag war. Der Postbote war ein Carmichael. Ich erkannte es an seinem Gesicht, denn in unserer Gegend gibt es viele Carmichaels, und sehr viele davon haben eine vorstehende Oberlippe. Also fragte ich ihn nach seinem Namen (er war ein junger Mann, schüchtern, aber gutmütig, jeder konnte ihn alles fragen), und dann sagte ich: »Das habe ich schon Ihrem Gesicht abgelesen!« Das gefiel ihm, er freute sich immer, mich zu sehen, und wurde ein bisschen weniger schüchtern. »Sie haben das Lächeln, auf das ich den ganzen Tag gewartet habe!«, rief er immer aus dem Autofenster.
    Lange Zeit kam mir überhaupt nicht in den Sinn, dass nie ein Brief eintreffen könnte. Ich glaubte an den Brief, genau wie ich daran glaubte, dass am Morgen die Sonne aufgehen würde. Ich hoffte einfach von Tag zu Tag weiter, um den Briefkasten herum blühte die Goldrute, die Kinder gingen wieder zur Schule, das Laub wurde welk, und ich hatte einen Pullover an, wenn ich warten ging. Eines Tages, als ich nur mit der Wasserrechnung in der Hand zurückging, das war alles, und zum Rummelplatz hinüberschaute mit den herbstlichen Gänsedisteln und Karden, da überkam es mich: Nie würde je ein Brief kommen . Sich an diesen Gedanken zu gewöhnen war unmöglich. Nein, nicht unmöglich. Wenn ich an das Gesicht von Chris dachte, als er sagte, er werde mir schreiben, war es unmöglich, aber wenn ich das vergaß, wenn ich an den leeren Blechbriefkasten dachte, war es vollkommen klar. Ich ging weiter hin, um die Post in Empfang zu nehmen, aber mein Herz war jetzt schwer wie ein Klumpen Blei. Ich lächelte nur noch, weil ich dachte, dass der Postbote darauf zählte, und er hatte ja kein leichtes Leben, mit dem Winter vor sich.
    Bis mir eines Tages dämmerte, dass es Frauen gab, die damit ihr ganzes Leben zubrachten. Es gab Frauen, die warteten nur immerzu neben Briefkästen auf einen Brief oder einen zweiten. Ich stellte mir vor, wie ich diesen Gang Tag um Tag und Jahr um Jahr machte und meine Haare langsam grau wurden, und dann dachte ich, ich bin nicht dafür geschaffen, so weiterzumachen. Also hörte ich auf, die Post entgegenzunehmen. Wenn es Frauen gab, die ihr ganzes Leben lang warteten, und Frauen, die tätig waren und nicht warteten, dann wusste ich, welche ich sein musste. Auch wenn es Dinge geben mag, die Frauen der zweiten Sorte auslassen müssen und nie kennenlernen, trotzdem ist es besser.
    Ich war überrascht, als der Postbote abends bei den Peebles anrief und nach mir fragte. Er sagte, er vermisste mich. Er fragte, ob ich gern nach Goderich fahren würde, wo ein ganz bekannter Film lief, ich weiß nicht mehr, welcher. Also sagte ich ja und ging zwei Jahre lang mit ihm aus, und er machte mir einen Heiratsantrag, und wir waren ein weiteres Jahr lang verlobt, während ich meine Aussteuer zusammenbrachte, und dann heirateten wir. Er erzählt den Kindern immer die Geschichte, wie ich mich an ihn heranmachte, indem ich jeden Tag neben dem Briefkasten saß, und natürlich lasse ich ihn und lache, denn mir ist es lieber, wenn andere denken, was ihnen gefällt und was sie glücklich macht.

Auf dem Wasser gehen
    Dies war ein Stadtviertel, in dem immer noch viele alte Leute lebten, obwohl etliche in Hochhäuser jenseits des Parks gezogen waren. Mr. Lougheed hatte eine Reihe von Freunden, oder vielleicht sollte man besser sagen, von Bekannten, die er nahezu täglich auf dem Weg ins Stadtzentrum, an der Bushaltestelle oder auf den Spazierwegen am Meer traf. Gelegentlich spielte er mit ihnen in

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