Was ich dir schon immer sagen wollte
Stadt blicken lassen), mit ihren säuselnden, frommen Gesprächen über Gartenbau und Ernährung hatten ihn so aufgebracht, dass er inzwischen nicht mehr hineinging. Sie beweihräucherten sich zu sehr. Brot war auch schon früher gebacken worden, Radieschen waren auch schon früher geerntet worden. Das hier war verlogen, in gewisser Weise verlogener als die Supermärkte.
»Ich meine, sie sind eher nervig als verlogen«, sagte Eugene einlenkend. »Wie die frühen Christen. Die waren bestimmt nervig.«
»Die werden es nicht lange machen. Ihre Landwirtschaft wird den Bach runter gehen.«
»Schon möglich. Aber manche Menschen bauen ihr Leben auf eine Philosophie und sind sehr erfolgreich. Die Hutterer. Die Mennoniten.«
»Die haben eine andere Mentalität«, sagte Mr. Lougheed. Ihm entging nicht, wie er sich anhörte – starrsinnig, verdrossen, alt.
Eugene kam jetzt ganz aus seiner Meditation heraus, stand auf, streckte sich und fragte Mr. Lougheed, ob er einen Tee wollte. Mr. Lougheed sagte ja. Eugene stellte den elektrischen Wasserkessel an, ging im Zimmer umher und räumte Sachen weg. Sein Zimmer war sehr ordentlich. Er schlief auf einer Matratze auf dem Fußboden, aber nicht ohne Bettwäsche, und die war sauber, denn er brachte sie immer in den Waschsalon. Seine Bücher standen auf Regalen aus Brettern und Ziegelsteinen oder stapelten sich auf dem Fußboden und den Fensterbrettern. Er hatte hunderte von Büchern, fast alles Taschenbücher, sie beherrschten das Zimmer. Mr. Lougheed betrachtete oft ihre Titel, mit einem Gefühl von Ehrfurcht und eigener Nichtigkeit. Von Heidegger bis Kant . Er wusste natürlich, wer Kant war, auch wenn er nie etwas von ihm gelesen hatte, nur über ihn in der Geschichte der Philosophie . Er mochte einmal gewusst haben, wer Heidegger war, aber jetzt wusste er es nicht mehr. Er hatte nie das College besucht. Seinerzeit brauchte man nicht aufs College zu gehen, um Drogist zu werden, man musste nur eine Lehre absolvieren, wie er bei seinem Onkel. Aber später hatte er eine ganze Zeit lang viele Bücher gelesen. Wenn auch nicht solche wie diese hier. Er wusste gerade genug, um die Namen zu kennen, das war alles. Meister Eckart. Simone Weill. Teilhard de Chardin. Loren Eiseley. Hochgeachtete Namen. Glänzende Namen. Und außerdem hatte Eugene diese Bücher nicht nur gesammelt, um sie irgendwann einmal zu lesen. Nein. Er hatte sie gelesen. Eugene hatte praktisch alles gelesen, was es über die wichtigsten, die anspruchsvollsten Themen zu lesen gab. Philosophie. Religion. Mystik. Psychologie. Naturwissenschaften. Eugene war achtundzwanzig Jahre alt, und es ließ sich mit Sicherheit sagen, dass er die letzten zwanzig Jahre seines Lebens mit Lesen verbracht hatte. Er besaß akademische Grade. Er hatte Stipendien und Preise gewonnen. Wofür er nur Spott übrighatte, oder zumindest tat er das fast entschuldigend ab. Er hatte hin und wieder kurz unterrichtet, aber offenbar nie eine feste Stellung gehabt. Irgendwann hatte es einen Zusammenbruch gegeben, eine längere Krise, von der er sich vielleicht immer noch zu erholen meinte. Ja, er machte den Eindruck jemandes, der seine Genesung überwacht und beschützt. Er war bedachtsam, sogar in seinen geschmeidigen Bewegungen, seiner Fröhlichkeit. Er trug eine Frisur wie ein mittelalterlicher Edelknabe. Seine Haare und seine Augen leuchteten, weich und fuchsrot. Er ließ sich einen kleinen Schnurrbart stehen, was ihm nicht half, so alt auszusehen, wie er war.
»Ich habe von diesem Auf-dem-Wasser-Gehen gehört«, sagte Mr. Lougheed und versuchte, einen scherzhaften Ton anzuschlagen.
»Honig?«, fragte Eugene und ließ einen Klumpen davon in Mr. Lougheeds Tee gleiten.
Mr. Lougheed, der seinen Tee gerne ungesüßt trank, nahm geistesabwesend einen Teelöffel entgegen.
»Ich habe es nicht für wahr gehalten.«
»Oh, doch«, sagte Eugene.
»Ich habe gesagt, so töricht wären Sie nicht.«
»Sie haben sich geirrt.«
Beide lächelten. Mr. Lougheeds Lächeln war schmal, aber hoffnungsvoll, taktisch. Eugenes war offen und freundlich. Und doch – was steckte hinter dieser Offenheit? Sie war nicht natürlich, sie war eine Errungenschaft. Eugene, der sich in Militärgeschichte, Mystik, Astronomie und Biologie auskannte, der Vorträge über indianische (oder auch indische) Kunst oder die Kunst des Giftmords halten konnte, der in der Ära der Quizshows ein Vermögen hätte machen können, wie Mr. Lougheed einmal zu ihm gesagt hatte (worauf
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