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Was im Leben zählt

Was im Leben zählt

Titel: Was im Leben zählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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Kamera!», sagt er. «So eine ist mir ja ziemlich lange nicht mehr untergekommen.»
    «Fotografierst du?», frage ich, ehe mir meine Vision von der Musicalaufführung wieder einfällt. Natürlich fotografiert er.
    «Ich habe sogar einen Abschluss in Fotografie», antwortet er und tritt näher, um sich das Objektiv anzusehen. «Ich unterrichte als Springer, zwischen meinen Fotojobs, wann immer ich welche ergattern kann.»
    «Ach, so bist du bei uns gelandet. Hier in Westlake bekommen wir nämlich nicht oft frisches Blut.»
    «Ja!» Er lächelt. «Das dachte ich mir schon. Als ich sagte, dass ich den Job annehme – ich war gerade unten in Portland, um ein paar Sachen für die dortige Zeitung aufzunehmen, als die Vermittlungsagentur anrief –, habe ich schon gemerkt, dass sie ein bisschen erstaunt waren.» Er zuckt die Achseln. «Aber mir gefällt es hier. Die Leute sind nett.»
    «Ja, das sind wir», sage ich und frage mich, wie um alles in der Welt man als freier Fotograf an Jobs kommt, und vor allem, wie man davon leben will. Nicht, dass das ein Leben für mich wäre; dazu klingt es viel zu sehr nach Nomadentum.
    «Aber diese Kamera … damit fotografiert heute kein Mensch mehr. Inzwischen ist alles digital. Ich habe die Dunkelkammer geliebt, aber das ist aus und vorbei.»
    «Was? Es gibt keine Dunkelkammern mehr?»
    «Nein, soweit ich weiß», sagt er. «Nur noch Computer. Traurig, oder?»
    «Ich glaube, es ist Zeit für ein neues Modell», antworte ich und trete wieder hinter meinen Schreibtisch.
    «Ich habe eine Digitalkamera, die ich dir sehr gerne leihen kann», sagt er. «Probier erst mal eine aus, ehe du dich festlegst.»
    «Sehr gerne», sage ich höflich, aber es hört sich mühsam an, etwas, das mal so selbstverständlich war, noch mal von vorne lernen zu müssen, und ich weiß jetzt schon, dass ich mir die Mühe wohl eher nicht machen werde.
    «Ich bringe sie morgen mit», sagt er. Sein Lächeln ist offen und befreiend, und auch in mir öffnet sich irgendetwas.
    «Oder heute Abend», höre ich mich überraschend sagen. «Meine Schwester spielt im Oliver’s. Die Bar an der Downing Alley. Wieso kommst du nicht einfach mit?»
    Er zuckt fröhlich mit den Achseln. «Ich habe nichts vor. Bin dabei.»
    «Schön!» Ich werde tatsächlich rot.
    «Oh, fast hätte ich’s vergessen», sagt er und dreht sich im Gehen noch einmal um. «Der Grund, weshalb ich eigentlich gekommen bin.» Er angelt einen Schlüssel aus der Hosentasche. «Ich habe einen Zweitschlüssel zum Kunstsaal machen lassen. Damit du nie wieder ausgesperrt bist.»
    Er legt mir den Schlüssel auf den Schreibtisch und verabschiedet sich mit einem kurzen Winken. Sobald er gegangen ist, schnappe ich mir den Schlüssel und schließe meine Hand so fest darum, dass sich die Zacken des Barts in die Handfläche bohren. Schließlich öffne ich die Hand und senke den Blick. Mitten auf meiner Lebenslinie sitzen winzige Narben, scharfe kleine Bisse. Meine Handfläche ist völlig verändert, die glatte Oberfläche ist in etwas verwandelt, das rauer ist, wilder, etwas, das zwar womöglich der Heilung bedarf, dessen Erforschung aber trotzdem lohnend sein könnte.

    Am Abend sind die Wolken wie weggeblasen. Nur die überschwemmten Straßen zeugen von dem gewittrigen Tag. Eine kurze Ruhepause von den Unwettern, die der Wettermann in den Achtzehn-Uhr-Nachrichten für die ganze Woche vorausgesagt hat, ehe dann von Osten die nächste Hitzewelle auf uns zurollt.
    Als Susanna, Luanne und ich in der Bar eintreffen, sieht der Laden aus wie Darcys lebendig gewordenes High-schooljahrbuch. Die Nischen sind so gut wie alle besetzt, und wir ergattern gerade noch einen Tisch links von der Bühne mit lausiger Sicht, direkt vor einem riesigen Lautsprecher, der uns mit Sicherheit die Trommelfelle zerfetzen wird. Rauchschwaden hängen in der Luft wie Sägemehlstaub in der Manege. Ein Großteil des Publikums ist noch zu jung, um mit dem Rauchen aufzuhören. Die knarrenden Holzdielen kleben vor Bier und erinnern mich entfernt an den Keller von Tys Wohnheim, aus dem grundsätzlich der Gestank nach schalem Bier nach oben wehte.
    Ich muss an Ty denken und an seine Rückkehr. Ich werde ihn Samstagabend mit Spaghetti Carbonara, seinem Leibgericht, erwarten und so tun, als wüsste ich nicht, dass er sein Versprechen brechen wird, dass es nicht bei nur eine Woche bleiben wird, dass er mich bitten wird, Westlake zu verlassen und nach Seattle zu ziehen, weil unsere Ehe über alles

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