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Was im Leben zählt

Was im Leben zählt

Titel: Was im Leben zählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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unsere Problemchen einfach links liegenließ und so tat, als wäre nichts geschehen – wenn ich vorgebe, es nicht zu sehen, ist es vielleicht gar nicht da . Oder so ähnlich. Ich dachte, mit der Taktik sei alles gewonnen. Jetzt kommt es mir plötzlich so vor, als hätte ich die unausgesprochenen Regeln unserer Abmachung gebrochen, unserer Entspannungspolitik. Und jetzt stehe ich hier, mitten in unserem Schlafzimmer, allein, und weiß nicht, was ich machen soll, weil ich nicht mehr die Möglichkeit habe, einfach die Jalousien runterzulassen, die uns ironischerweise immer dabei geholfen haben, unseren Weg zu finden.
    Schließlich geht die Tür wieder auf. Ty kommt raus, geht stumm auf mich zu und zieht mich zu sich aufs Bett.
    «Till, es ist so», sagt er und sieht mich entschlossen an. «Ich bin zweiunddreißig.»
    «Ich weiß», sage ich. «Ich weiß doch, dass du zweiunddreißig bist!»
    «Ich bin zweiunddreißig Jahre alt und fast mein ganzes Leben lang hier gewesen … und ich ertrage es nicht, auch nur einen weiteren Morgen aufzuwachen und zu wissen, dass es für mich nichts anderes mehr gibt.»
    «Wovon redest du? Wir versuchen, ein Kind zu kriegen! Das gibt es für dich.» Mein Zorn entweicht wie Luft aus einem kaputten Ballon.
    «Darum geht es nicht. Hör mir zu.» Er schüttelt den Kopf. «Ich wollte etwas aus mir machen, etwas Großes. Ich wollte die Welt in Brand setzen. Und … und … und jetzt verkaufe ich Mountainbikes an Menschen, die sich die Dinger nicht mal leisten können und sie sowieso nie benutzen. Ich verkaufe Müttern Badeanzüge für die Wassergymnastik. Glaubst du tatsächlich, das war mein Plan? Verstehst du nicht, dass ich genau das niemals wollte? Kannst du mir das nicht zugestehen?»
    «Aber wir haben doch ein tolles Leben», sage ich flehend. «Ich liebe unser Leben.»
    «Ich weiß.» Er nickt. «Das weiß ich.»
    «Und reicht das nicht?» Das ergibt doch alles überhaupt keinen Sinn. Mit seinen Worten schlägt er hier alles in Scherben. Wieso reicht ihm das nicht? Mir ist es mehr als genug! Wieso kann ich das nicht aufhalten? Mein Zorn ist nackter Panik gewichen. Das Zimmer fühlt sich zu klein an, die Wände sind klaustrophobisch eng, die Luft im Raum schnürt mir die Kehle zu.
    «Die Sache ist die, Till» – er holt tief Luft. «Die Sache ist, dass ich nicht weiß, wer ich ohne dich bin. Ohne diese Stadt.»
    Na und? , denke ich, aber stattdessen sage ich: «Mach dich doch nicht lächerlich! Du bist immer noch derselbe Typ, in den ich mich mit sechzehn verliebt habe. Derselbe Typ, den alle hier lieben.»
    «Genau darum geht es ja», antwortet er, und zwei Tränen laufen ihm über das Gesicht. «Dieser Typ will ich nicht mehr sein.» Er denkt nach. «Geht es dir wirklich nie so? Hast du nie auch nur das leiseste Gefühl, eingesperrt zu sein?»
    Ich starre ihn an. Wer bist du?
    «Nein», sage ich bestimmt. «Habe ich nicht. Weswegen sollte ich mich eingesperrt fühlen? Wozu muss ich wissen, wer ich ohne dich bin? Ich weiß, wer ich mit dir bin, und das genügt mir.»
    «Ich glaube, dass andere Dinge auch wichtig sind. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir auch eine Identität außerhalb unserer Ehe haben.» Er zuckt die Achseln. «Ich … ich kann einfach nicht mehr.»
    «Was kannst du nicht mehr? Was meinst du damit? Unsere Ehe?» Die Angst bricht aus mir heraus, eine wirbelnde Spirale, die mich mitzureißen droht. Was ist hier los? Was passiert hier? Was zum Teufel läuft hier eigentlich? Ich wache eines Morgens auf, mein Vater trinkt wieder, mein Ehemann will, dass wir umziehen, meine beste Freundin macht mit einem Typen rum, mit dem sie nicht verheiratet ist, und ich kann das alles plötzlich sehen, ohne es tatsächlich vor Augen zu haben! Ashley Simmons’ Stimme erklingt in meinem Kopf, ein endloses Echo: «Das Geschenk der Klarheit, Tilly. Das, was du meiner Meinung nach schon immer gebraucht hast.» Leck mich, Ashley Simmons. Leck mich, du mit deinen lächerlichen Prophezeiungen!
    «Nein, nein. Nein! », sagt er. Unsere Blicke treffen sich einen Moment, dann senkt er den Blick. «Ach, keine Ahnung. Einfach nur das hier, das alles!» Seine Arme beschreiben einen großen Kreis. «Dieses Leben, diese Stadt, derselbe alte Scheiß, jeden Tag. Wir haben das alles doch schon mal durchgemacht. Dein Vater, der besoffen aufkreuzt, deine Schwester, die auf unserer Couch übernachtet.» Er hält inne, weil er den Faden nicht verlieren möchte. «Ich kriege keine Luft mehr, verstehst

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