Was im Leben zählt
du?» Er sieht mir fest in die Augen. «Es ist nur eine Woche. Es ist nur eine Schnuppertour. Wir finden eine Lösung. Eine, mit der wir beide glücklich sind. Eine, die uns beide zufrieden macht.»
Am liebsten würde ich sagen: Wieso zum Teufel wusste ich nicht, dass du so unzufrieden bist? Woher kommt das auf einmal? Was ist los mit dir, verdammt ? Aber meine Worte stecken irgendwo tief in mir fest, wie in der Kehle eingefroren, außerstande, sich zu befreien, um zu fragen, was gefragt werden muss. Die alte Tilly ist wieder da, die Tilly, die dachte, wenn sie den Dingen aus dem Weg geht, dann müsste sie vielleicht nie kämpfen.
Unbehagliches Schweigen breitet sich zwischen uns aus. Unten in der Diele tickt laut und vernehmlich die alte Standuhr, und schließlich sagt er: «Tilly, ich liebe dich. Aber hältst du jemals inne und fragst dich, ob du glücklich bist? Nicht nur oberflächlich, sondern auch tief in deinem Inneren – bist du da wirklich richtig glücklich? Fragst du dich je, ob dies wirklich das Leben ist, das du willst?»
«Ja.» Die Antwort kommt schnell, wie aus der Pistole geschossen, und ich stehe schnell auf, damit er meine Erschütterung nicht sieht. «Natürlich will ich dieses Leben!»
Ich laufe hinunter auf die Gästetoilette und kauere erschüttert auf dem Deckel nieder; weil seine Frage mich in einer Weise ins Mark trifft, die ich niemals vermutet hätte, weil ich nie vermutet hätte, dass eine Frage mich überhaupt so treffen kann. Weil Glück kein Ziel ist, nichts ist, wonach ich strebe. Glück ist einfach. Mein Leben ist Glück; ich habe beschlossen, dass mein Leben Glück ist, was auch immer das bedeutet, wie auch immer man das definiert. Wenn mich jemand fragen würde, ob ich glücklich bin, würde ich, ohne zu zögern, mit Ja antworten. Jeder winzige Augenblick des Zögerns ist ein Augenblick zu lange, ein gefrorener Herzschlag, den zu erwägen nicht lohnt: Wozu auch? Das ist mein Leben. Das ist Glück. Es ist das Gleiche. Seit meinem sechzehnten Lebensjahr, als meine Mutter starb, bin ich so. So funktioniere ich, so habe ich alles um mich herum konstruiert; mein Glück war mir immer so selbstverständlich wie mein Atmen. Dies ist das Leben, das ich will, genau das, was ich will. Wie kann es sein, dass mein Mann das nicht weiß?
Das Vorsingen am Mittwoch zieht an mir vorüber, ohne dass ich wirklich anwesend bin. Ja , nicke ich Susanna zu, Wally Lambert singt umwerfend, auch wenn er ein bisschen zickig gewesen ist, was Darcys Klavierbegleitung betrifft («Wegen dieses Dreivierteltakts bin ich beim zweiten Refrain ganz rausgekommen») , und Ja, es versteht sich von selbst, dass für Sandra Dee nur CJ in Frage kommt . Wenigstens Susie scheint einigermaßen Spaß zu haben, und darüber bin ich froh. Ich bitte sie noch einmal, darüber nachzudenken, ob sie Austin nicht doch verzeihen kann, aber sie schüttelt nur den Kopf und ruft: «Weiter geht’s!», was genauso auf den nächsten Kandidaten wie auf ihr ganzes Leben gemünzt ist. Okay , nicke ich, hab’s kapiert . Ich bin viel zu erschüttert, um zu streiten.
Draußen türmen sich hohe Wolkenberge auf, regenschwanger, kurz davor, sich in einer Sintflut über uns zu ergießen. Heißersehnter Regen für die dürren Felder rund um die Stadt, für unsere von der unglaublichen Hitze erschöpften Leiber.
Sobald Susanna und ich uns über die Besetzung einig sind, schicke ich sie nach Hause, und Darcy ist ebenfalls entlassen. «Gott sei’s gelobt und getrommelt und gepfiffen!» Darcy rollt dramatisch mit den Augen. «Na endlich! Darf ich etwa schon gehen? Ich muss mich nämlich für eine richtige Show vorbereiten.»
Ich winke ihnen nach und lasse mich erschöpft auf den Stuhl in meinem Büro sinken. Der tiefhängende Schatten des drohenden Unwetters ist jetzt direkt vor dem Fenster und spiegelt meine Stimmung wider.
Seit ich ihn zum Flughafen gefahren habe, haben Tyler und ich so gut wie kein Wort gewechselt. Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber wenn er nicht gerade draußen auf dem Spielfeld ist oder sich um den neuen Superstar kümmern muss, ist er auf ein Bier und einen Happen mit dem Trainerstab unterwegs ( «Ich kann dich so schlecht verstehen!» , hat er gestern Abend ins Telefon geschrien. «Was hast du gesagt? Welche Frage?» , dabei hatte ich ihm lediglich endlich gestanden, dass ich meine Tage bekommen habe). Und wenn er dann endlich mal eine ruhige Minute zum Telefonieren hat, bin ich gerade nach langem Kampf gegen die
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