Was im Leben zählt
man natürlich im Grunde genommen nicht von einem Kompromiss sprechen kann, wenn man selbst der Einzige ist, der etwas aufgibt.
Also sitze ich hier, übe, was ich sagen will, beobachte, wie eine Propellermaschine zur Landung ansetzt, und dann erwacht der Lautsprecher über mir pfeifend und knisternd zum Leben. Der Flug ist gelandet, verkündet die unsichtbare Frau über meinem Kopf. Ankunft Flug 284 aus Seattle. Tyler ist zurück.
Meine Rede hallt in meinem Kopf wider. Ich befördere den schalen Kaffee in den Mülleimer, streiche mir die Falten aus der Bluse und warte darauf, dass Tyler durch den Flugsteig tritt. Ich werde ihn ansehen, den einzigen Mann, den ich jemals geliebt habe, ich werde mich selbst überwinden und ihm sagen, dass wir das hinbekommen, dass wir seinen Trainertraum gemeinsam verwirklichen werden.
Mein Magen schlägt Purzelbäume, mein Herz rast, und dann öffnet sich die Schiebetür, und die Passagiere betreten das Gebäude. Das Flugzeug ist klein, ein Shuttle-Service, und so sind nur etwa ein Dutzend einsame Reisende aus der Maschine gestiegen – wer will schon nach Westlake?
Ich sehe eine gestresste Mutter mit knatschigem Kleinkind und dann einen hängebäuchigen Mann, dessen Fettwanst unter seinem Poloshirt heraushängt. Dahinter kommt eine Schar bekannter Gesichter: Ich winke Teddy Carver zu, der jede Woche nach Seattle fliegt, um seine kranke Mutter im Pflegeheim zu besuchen, und ich nicke einer Frau zu, die ich nur vom Sehen kenne.
Langsam versiegt der bescheidene Passagierstrom, und die einzige Flugbegleiterin verlässt mit ihrem Rollkoffer die Maschine, wahrscheinlich auf dem Weg ins Motel bis zum nächsten Einsatz, der sie so schnell wie möglich wieder von hier wegbringt.
«Entschuldigen Sie», sage ich und mache einen Schritt auf sie zu. «Mein Mann wollte auch mit dieser Maschine kommen. Ist noch jemand an Bord?»
«Nein, Liebchen», sagt sie, obwohl sie ungefähr so alt aussieht wie ich, nur mit viel zu viel Make-up und Rouge im Gesicht. «Das war’s. Aber wir hatten in letzter Minute eine Annullierung.» Sie zuckt die Achseln. «Vielleicht rufen Sie ihn an?»
Sie winkt mit ihren pink lackierten Fingernägeln und weht davon. Die Räder ihres Koffers quietschen über den Linoleumbelag. Der Puls pocht heftig gegen meine Stirn. Ich drehe mich um und starre zum Aussichtsfenster hinaus, in den weiten, stahlgrauen Himmel, der gleichzeitig leer und mit einer dichten Wolkendecke verhangen ist, und obwohl ich mein Handy herausholen und Tyler anrufen sollte, stehe ich erstarrt da, genauso trostlos wie der Himmel, getroffen von plötzlicher, unerbittlicher Klarheit. Klarheit!
Verfluchte Ashley Simmons!
Tyler ist gegangen, und er kommt nicht wieder zurück. Er baut sein Leben – ein neues Leben – ohne mich auf, ohne diese Stadt und ohne die Vergangenheit, von der ich so felsenfest geglaubt hatte, sie würde uns auf ihren Schultern in den rosaroten Sonnenuntergang tragen. Nicht wir. Er. Er zieht um.
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Fünfzehn
A shley Simmons hat zugesagt, sich Montagmorgen mit mir zum Frühstücken zu treffen. Ich habe Susanna und Darcy – die sich nach einer offensichtlich sensationell schlechten Bandprobe mit Murphy’s Law dazu herabgelassen hat, doch noch mal das Highschoolklavier zu spielen – davon überzeugt, dass sie die Choreographie von Summer Lovin’ auch ohne mich hinkriegen, und das Prom-Night-Komitee per E-Mail informiert, dass ich mir eine Woche freinehme. Der Eiffelturm und der saudumme Triumphbogen können warten.
Ich habe den Großteil des Wochenendes in unserem Bett verbracht beziehungsweise in meinem Bett, der Plural trifft inzwischen nicht mehr zu, und habe die Überreste meiner Ehe betrauert. Susanna leistete mir mit einer Flasche Rum und einer ganzen Reihe Grabgesänge Gesellschaft, die alle davon handelten, dass Männer Arschlöcher sind und Frauen auch sehr gut ohne sie überleben könnten, wenn da nur die Sache mit dem Sperma nicht wäre. Doch die Schimpftiraden, so treffend sie gerade in meiner Situation auch sein mochten, konnten mich nicht aus meinem tiefen Loch der Verzweiflung holen. Darcy gesellte sich zu uns, und zu dritt sahen wir uns gegen das Kopfteil gelehnt die erste Staffel von Alias an. Susie hatte sie extra ausgeliehen, um mir eine Schockdosis an Adrenalin zu verabreichen. Unnötig zu sagen, dass es nicht funktionierte.
Die E-Mail, die Tyler mir am späten Freitagabend schickte, setzte dem Debakel die Krone auf.
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