Was im Leben zählt
sich ihr Rückflugticket zu schnappen und sich auf den Weg in sonnigere Gefilde zu machen, weg von dem Wahnsinn, der mein Leben verschlingt, inklusive meines auf die schiefe Bahn geratenen Vaters und meines Versagers von Ehemann. Aber sie hat nur wie ein bockiges Kleinkind den Kopf geschüttelt und sich geweigert, mich im Stich zu lassen. Nachdem ich sie all die Jahre bekniet hatte, nicht zu gehen, stellt sich plötzlich raus, dass die inständige Bitte zu gehen der einzige Weg ist, sie zu halten.
Mein Vater angelt etwas Geld aus der Tasche, um die Bestellung zu bezahlen, und Darcy sieht sich gleichgültig um, bis sie mich entdeckt. Sie winkt verlegen und kommt an unseren Tisch.
«Was tust du denn hier?», fragt sie mich mit einem Blick auf Ashley, der mir verrät, dass sie ihr Gesicht zwar kennt, sie aber nicht einordnen kann.
«Ich habe dir doch gesagt, dass ich frühstücken gehe.»
«Du hast dich ja richtig zurechtgemacht», sagt sie sarkastisch.
Ich schenke ihr nur einen kühlen Blick und sage dann: «Erinnerst du dich noch an Ashley Simmons? Aus der Middle School?»
«Hallo», sagen sie wie aus einem Munde und nicken einander zu.
«Und was tust du hier?», will ich wissen.
«Dad war seit vier Tagen nicht mehr aus dem Haus. Er hat mir leidgetan, und da habe ich ihm vorgeschlagen, kurz Frühstück holen zu fahren.» Sie lässt entschuldigend die Hände sinken, ein überaus mitfühlendes Zugeständnis für meine knochenharte Schwester. «Ich finde, er hat sich dieses Wochenende ganz gut gemacht, keine Ahnung. Ich meine, er hat sich doch Mühe gegeben, oder?»
Ich nicke, weil ich weiß, wie schwer ihr dieses Zugeständnis fällt; sobald mein Vater erfahren hatte, was passiert war, tauchte er in meinem Schlafzimmer auf, blieb im Türrahmen stehen, bis Susanna ihn davon überzeugt hatte, dass ich schlief. Dann legte er sich direkt draußen im Flur vor die Tür, für den Fall, dass ich aufwachte und ihn brauchte, obwohl er ganz genau wusste, dass dem nie so sein würde. Es war einfach seine Art zu sagen: «Ich bin zwar ein Riesenarschloch, aber ich bin trotzdem dein Vater»; und wir waren alle wohlwollend genug, das anzuerkennen.
Plötzlich steht mein Vater vor uns, beugt sich zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
«Hätte nicht gedacht, dich hier zu treffen», sagt er.
«Dito», sage ich knapp, nicht weil ich unhöflich bin, sondern weil die letzten zweieinhalb Tage mich so erschöpft haben, dass ich mit meiner Energie haushalten muss.
«Hallo, Mr. Everett.» Ashley streckt ihm die rechte Hand entgegen. «Ashley Simmons. Ist ziemlich lange her.» Mit zu Schlitzen verengten Augen wartet sie darauf, dass er sie erkennt. Sein Kopf ruckt zurück, ein kaum merkliches Anzeichen für seine Überraschung, sie zu sehen, und darüber, wie sehr sie sich seit ihrem zwölften Lebensjahr verändert hat.
«Wow!» Er reibt sich das Kinn. «Ashley. Schön, dich zu sehen. Das ist wirklich eine Weile her. Wie geht es deinen Eltern?»
Ashleys Hyänenkichern verrät ihr Unbehagen.
«Meine Mutter ist krank, leider», sagt sie und mustert meinen Vater. «Und mein Vater ist vor ein paar Jahren gestorben.»
«Das tut mir leid», sagt er. «Er war ein feiner Kerl. Wir haben uns aus den Augen verloren, aber ich weiß noch gut, was für ein feiner Kerl er war.»
Was mein Vater nicht erwähnt, ist, dass sie sich damals aus den Augen verloren, weil mein Vater mit seiner Trinkerei so gut wie jeden verprellte, den er kannte, und weil manche Leute sich ihm nie wieder zuwandten, auch dann nicht, als er für seine Sünden gebüßt hatte.
«Ja, das war er.» Ashley nickt.
«Darcy, Süße, eure Bestellung ist fertig», ruft die Frau an der Theke, und die beiden verabschieden sich von uns. Ashley sieht ihnen nach, bis sie auf den Parkplatz verschwunden sind, dann dreht sie sich zu mir um und seufzt.
«Dein Vater hat sich offensichtlich wieder im Griff.»
«So einigermaßen», sage ich, aber der Gedanke an die Nachtwache vor meiner Schlafzimmertür stimmt mich etwas milder. «Er hatte einen kleinen Rückfall, aber das kriegen wir schon wieder hin.»
Sie lacht. «Typisch Tilly. Das Glas ist immer halb voll, bis zur bitteren Neige.» Sie schiebt den Teller von sich, und ich esse ein Stückchen von ihrem Buttertoast. Es ist der erste Bissen seit gestern Nachmittag.
«Lassen wir das. Ich weiß, was du von mir hältst», sage ich.
«Tust du nicht.» Sie zuckt die Achseln.
«Hör mal, Ashley. Ich will lediglich ein paar
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