Was im Leben zählt
vom Computer ab. «Soweit ich das gestern Abend sehen konnte, hast du es noch nicht verlernt.»
Ich nicke. Meine Kehle ist staubtrocken, ich bringe keinen Ton heraus.
«Also, komm bald wieder», sagt er, nimmt meine Hand und legt die Kamera hinein. «Mach noch ein paar Bilder und komm dann wieder.»
«Mache ich», sage ich schließlich und wende mich zum Gehen. Plötzlich bin ich zu schüchtern, um ihm in die Augen zu sehen. Darauf kannst du deinen Hintern verwetten! , schreit meine innere Stimme, auch wenn der klügere Teil in mir natürlich weiß, dass Ty am Sonntag wiederkommt, dass er mich dann mitnehmen wird und ich vielleicht nie wieder einen Weg zurück finden werde.
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Vierzehn
W egen eines örtlichen Gewitters hat Tylers Flug zwanzig Minuten Verspätung. Die Wettervorhersage war nur teilweise richtig – es ist zwar abgekühlt, aber die heftigen Regenfälle weigern sich hartnäckig, in Richtung Westen abzuziehen. Ich bin nicht auf die Idee gekommen, mich vorher zu erkundigen, und so sitze ich bei einem schalen Becher Kaffee und fürchterlicher Kaufhausmusik an dem winzigen Pendlerflughafen von Westlake fest. Die blaue Kunstlederbank ist zwar hart, aber trotzdem bequem. Ich lege die Beine hoch und beobachte das Kommen und Gehen auf der Start- und Landebahn, wie die Flugzeuge abheben, in den Himmel schießen, sich über den Dunst erheben und immer kleiner werden, bis sie schließlich verschwunden sind.
Ich weiß genau, was ich sagen werde. Ich habe geübt. Ich werde ihm sagen, dass ich zu einem Kompromiss bereit bin. Dass ich hierbleiben muss, bis mein Vater wieder gesund ist und bis ich schwanger bin, aber wenn wir diese beiden Hürden überwunden haben, dann, ja dann werde ich die Kraft aufbringen und das einzige Zuhause aufgeben, das ich je kannte. Ich werde ihn ansehen, und ich werde irgendwoher den Mut nehmen, ihm diese Dinge zu sagen, auch wenn jede einzelne Körperzelle in mir, sämtliche Instinkte in mir dagegen aufbegehren werden. Aber ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Die Zukunft kann ich nicht ändern; ich kann nur meine Einstellung dazu ändern.
Das Gleiche habe ich gestern auch zu Susanna gesagt, während unserer ersten Probe mit CJ, die übrigens kaum besser hätte laufen können, trotz Midge Miller am Klavier. Midge ist inzwischen etwa hundert Jahre alt, gibt seit sicher siebzig Jahren Klavierunterricht und lässt es ein wenig an Schwung vermissen. Sie ist für Darcy eingesprungen, die am Ende doch zu dem Schluss gekommen ist, dass sie sich für diesen «Highschool-Musical-Scheiß» nicht hergeben möchte.
«Hast du überhaupt eine andere Wahl?», fragte Susanna leise, während sich CJ oder Midge oder beide, das ließ sich schwer sagen, durch Hopelessly Devoted To You quälten. «Gut und schön, ja, ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, weil ich wegen Austin eine Entscheidung gefällt habe, aber trotzdem … du und Tyler? Ich meine, wirklich, es gibt keine andere Möglichkeit. Ihr könnt euch nicht trennen. Du musst mit ihm gehen.»
Ich sah sie an, würgte an meinem Thunfisch-Sandwich, und mir wurde klar, dass mir nie die Idee gekommen war, Susanna könnte mit Austin, mit ihrem Los vielleicht gar nicht glücklich sein. Ich wusste, dass sie sarkastisch und bissig sein konnte und manchmal tatsächlich ein bisschen am Ende mit den Nerven, aber erleichtert, dass ihre Ehe vorbei war? Nein, das hätte ich nie gedacht. Und dann wurde mir noch etwas klar, und zwar mit großer Gewissheit: dass ich nicht wie sie bin. Sie hat recht. Ich habe schlicht nicht den Mut, noch mal von vorne anzufangen, weil Tyler alles ist, was ich jemals hatte, und das ist etwas, wofür zu kämpfen sich lohnt. Ja, die glutheiße Eifersucht wegen Eli und seiner Freundin nagt an meinen Eingeweiden wie ein Parasit, wie eine Krankheit, die sich nicht ausmerzen lässt, aber das ist nur vorübergehend, das geht vorbei , sage ich mir; das sind nur die irregeleiteten Emotionen einer einsamen Ehefrau, der momentan der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Und außerdem: Klar, stimmt schon, vielleicht weiß ich nicht, wer ich ohne Tyler bin, aber vielleicht will ich es auch gar nicht wissen.
Ob dies das Leben ist, das ich will, hat er mich gefragt. «Ja. Natürlich ist dies das Leben, das ich will» , hab ich ihm geantwortet, und daran hat sich nichts geändert. Deshalb werde ich Tyler heute sagen, so wie gestern bereits Susanna, dass wir einen Kompromiss finden werden, auch wenn
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