Was im Leben zählt
Spendenaktion findet während des Unterrichts statt. Auf dem letzten Stuhl, direkt neben dem Tisch mit den Cookies, entdecke ich CJ. Neben ihr liegt Johnny Hutchinson, und sie unterhalten sich kichernd. Die rot pulsierenden Schläuche in ihren Armbeugen können ihren Teenager-Hormonen nichts anhaben. Als sie mich sieht, strahlt sie über das ganze Gesicht, ihre Augen ein einziges Leuchten, und ich vermute, ich habe während der letzten beiden Monate neben sehr vielen anderen Dingen nicht mitbekommen, dass die beiden wieder zusammen sind, trotz CJs Klagen, er wäre zu engstirnig, zu provinziell, zu sehr wie der Rest von Westlake.
Eine Krankenschwester bedeutet mir, dass gleich ein Platz frei wird. Die Türangeln quietschen, und zwei Zehntklässler mit Kameras um den Hals betreten den Anhänger, direkt gefolgt von Eli. Ausgerechnet! Er scheucht die Schüler bis ganz nach vorne in die Nase des Anhängers durch, wo sie sich mühsam aneinanderquetschen.
Ich drehe mich eilig zu der Krankenschwester um, beäuge sie panisch, in der Hoffnung, dass sie mich nach hinten führt, damit ich nicht mit ihm reden muss, keine Fragen nach den Gerüchten beantworten muss, die sich hartnäckig wie Grippeviren in den Schulfluren halten, damit ich nicht darüber nachdenken muss, dass ich sogar jetzt noch, fast zwei Monate später, bei dem Gedanken an seine Freundin sauer werde, obwohl ich weiß, dass es mir egal sein kann, egal sein sollte, weil ich immer noch verheiratet bin, Himmel noch mal! Doch die Schwester ist damit beschäftigt, in Reggie Valdez’ linkem Arm nach der Vene zu stochern, und beachtet mich gar nicht.
«Hallo, Tilly!», ruft Eli mir über die Schultern seiner Schüler zu. «Spendest du Blut?» Ich nicke und zwinge meine Mundwinkel nach oben, viel zu müde für ein echtes Lächeln. Er nickt zurück. «Wir machen Bilder für das Jahrbuch.»
«Ihr wollt der Blutspendeaktion eine Seite im Jahrbuch widmen?»
«Auf der Seite zum Thema Soziales. Wir sehen, was wir kriegen können, und dann entscheiden wir. Besser, wir machen gleich ein paar Bilder, dann müssen wir uns später nicht ärgern, wenn die Zeit drängt und wir nichts haben.»
Ich nicke und muss, wie momentan ständig, an Tyler denken. Als wir zwei Jahre verheiratet waren, fragte ich ihn, ob wir nicht langsam versuchen sollten, Kinder zu kriegen. Susies Zwillinge krabbelten auf ihren ersten Geburtstag zu, und in mir regte sich diese ganz besondere Lust, diese Sehnsucht nach Mutterschaft, auch wenn ich zu dem Zeitpunkt noch die Abendschule besuchte, um meinen Master zu machen, und wir beide kaum über die Runden kamen mit Tylers Verkaufsprovisionen und meiner Stelle als Assistentin des Direktors. Ich brachte das Thema an einem gemütlichen Sonntagmorgen auf den Tisch. Der ganze Tag lag verheißungsvoll vor uns, ohne Termine, ohne Verabredungen. Wir lagen gemütlich im Bett, Tyler las die Zeitung, ich lehnte an seiner Schulter, als mir plötzlich wie von selbst die Worte aus dem Mund flogen, ich sei bereit, Mutter zu werden.
«Wenn nicht jetzt, wann dann?» Ich erinnere mich noch ganz genau an meine Worte und daran, wie Tyler die Zeitung sinken ließ und mich ansah, die Antwort offen ins Gesicht geschrieben.
«Wir sind doch noch so jung», sagte er, und er hatte recht, wir waren jung. Aber ich wollte nicht werden wie seine Mutter, alt und klapprig, wenn unsere Kinder endlich auf der High School waren, und ich gestand ihm, dass ich schon immer eine Tochter namens Margret haben wollte, benannt nach meiner Mutter.
Er lächelte mich an. Ich erinnere mich noch ganz genau an dieses Lächeln – zärtlich, offen, freundlich, zufrieden. Er sei noch nicht bereit, sagte er, aber bald. Er beugte sich zu mir und küsste mich auf den Scheitel, und ich wusste, dass er es ernst meinte – dachte ich damals jedenfalls.
Ich beobachte die dunkelrote Flüssigkeit, die aus Reggie Valdez’ Armbeuge kommt, und verstehe auf einmal, was Eli hier tut. Er sichert die Basis, genau wie ich es hätte machen sollen, anstatt die Zeit mit der Annahme zu verschwenden, jemand anders – mein Ehemann – würde irgendwann den Schritt tun.
«Hast du in letzter Zeit wieder jemanden aufgenommen?», fragt Eli, während er um seine Jahrbuchreporter herumhuscht. Der Anhänger ist viel zu klein für uns alle, und Eli steht entschieden zu dicht in meiner Nähe. Ich komme mir vor wie die Spinne in meinem Büro, die keine Ritzen mehr findet, um sich vor meinem drohenden Schuh zu verstecken.
Ich
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