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Was im Leben zählt

Was im Leben zählt

Titel: Was im Leben zählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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will. Ich sehe sie an und muss lächeln. Über ihren Mut, ihre Aufrichtigkeit, ihre Weigerung zu akzeptieren, was die Zukunft für sie bereithält, weil ihre Pläne ganz anders aussehen.
    «Tut mir leid, wenn ich störe, Mrs. F.», sagt sie, ohne das Büro ganz zu betreten. «Ich wollte Sie nur kurz daran erinnern, dass Sie noch im Krankenhaus vorbeischauen wollten.»
    «Im Krankenhaus», wiederhole ich, eher als Frage. Ich lasse die Einladung in die oberste Schublade fallen und schließe sie mit Nachdruck.
    «Ja, ich hatte Sie letzte Woche darum gebeten», sagt sie. «In Wesleyan hat man um die Unterschrift meines Studienberaters gebeten. Zur Bestätigung, dass ich wirklich dort arbeite und nicht nur herumsitze und mir die Fingernägel feile. Jetzt, wo das Musical vorbei ist, bin ich jeden Tag nach der Schule dort.» Sie zuckt die Achseln. «Den Nebenjob habe ich aufs Wochenende verschoben.»
    «Oh, ja, das, klar!», sage ich. Ich nicke, als würde mich das auch nur einen Hauch professioneller machen, als ließe sich mit einer Geste die Tatsache vertuschen, dass ich unser letztes Gespräch schon wieder völlig vergessen habe. «Okay, sicher. Ich komme heute Abend vorbei.»
    «Toll. Vielen Dank. Bis dann», sagt sie und verschwindet wieder im Flur. Die Tür bleibt angelehnt. Zwei Sekunden später schwingt sie wieder auf, und Eli steht vor mir.
    «Hallo! Bist du dafür zuständig?» Er hält eine kremfarbene Einladung hoch und lacht. «Ich hätte da nämlich noch ein paar Fragen bezüglich der Kleiderordnung: Baskenmütze, oui oder non ?»
    «Non» , antworte ich. «Ein großes Non sogar.»
    «Super», sagt er. «Ich hätte nämlich nicht gewusst, wo ich so was hier auftreiben soll.» Er lässt sich auf die Couch plumpsen. «Und? Hast du dir die Bilder schon angesehen? Vom Homecoming-Wochenende?»
    Ich schüttle den Kopf. Seit dem Abend vor meinem Selbstporträt traue ich mir nicht mehr über den Weg – es kommt mir leichtsinnig vor. Ich habe das Gefühl, ich würde mein Schicksal herausfordern oder mich selbst.
    «Okay, gut, aber wenn du irgendwann so weit bist, dann komm bitte zu mir.» Genauso schnell, wie er sich gesetzt hat, ist Eli plötzlich wieder auf den Beinen. «Ich würde sie wirklich gerne sehen.»
    «Klar», antworte ich, als er schon längst wieder zur Tür raus und den Gang runter verschwunden ist. «Wenn ich bereit bin, dann komme ich zu dir.»

    Im Krankenhaus herrscht die typische gespenstische Stille. Die Schwestern unterhalten sich im Flüsterton, wartende Angehörige sitzen aneinandergelehnt und flüstern ebenfalls, als würde jedes laute Wort den friedlichen Unterton zerstören, der die Stille begleitet, obwohl die Stille in Wirklichkeit nervenaufreibender ist als alles andere. Sobald ein Arzt in voller Lautstärke bellend vorbeieilt, drehen alle sich um, als könnte dieses Bellen nur eines bedeuten, nämlich dass der geliebte Angehörige eines anderen Menschen im Sterben liegt, während der eigene, über den ausschließlich in besagtem sanftem Flüsterton gesprochen wird, weiter durchhält.
    Ich stehe am Schwesternpult und warte auf CJ. Luanne ist ebenfalls im Dienst und ist so nett gewesen, CJ für mich zu rufen, und ich picke, während ich warte, an Luannes Schälchen mit abgestandenem Obstsalat aus der Cafeteria herum. Ich werfe mir eine blaue Weintraube in den Mund und zerquetsche sie zwischen den Backenzähnen.
    Das Stationstelefon klingelt, und Lulu nimmt ab. «Bin gleich wieder da», sagt sie noch und sprintet durch einen neonbeleuchteten Flur davon. Die Sohlen ihrer Turnschuhe quietschen über die Fliesen, und der Schwesternkittel spannt sich langsam über dem runder werdenden Babybauch.
    «Tilly!», erklingt eine Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und erblicke nicht CJ, sondern Ashley. «Was tust du denn hier?» Sie lächelt mich müde an. Sie hat sich in den paar Wochen, seit wir uns zuletzt gesehen haben, verändert. Die Wangen wirken eingefallen, die Jeans hängt auf ihren Hüften.
    «Ach, ich muss für eine meiner Schülerinnen ein Formular unterschreiben. Eine Beglaubigung für ihre College-Bewerbung».
    Ich seufze, weil es zirka eine Million Orte gibt, an denen ich jetzt lieber wäre. Obwohl mir, wenn ich näher darüber nachdenke, leider kein einziger einfällt. Kann man überhaupt woanders sein wollen, wenn man im Grunde nirgendwo ist? Unsichtbar vielleicht. Ja, vielleicht wäre ich gerne unsichtbar. «Wie geht es deiner Mutter?», frage ich schließlich.
    «Im Grunde

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