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Was im Leben zählt

Was im Leben zählt

Titel: Was im Leben zählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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sehe ich Wally und CJ zu, die sich verdientermaßen in jeder einzelnen Sekunde ihres ach so vergänglichen Erfolges sonnen. Und dann klatscht das Publikum noch lauter, und ich klatsche mit, und dann gehen die Lichter wieder aus, der Vorhang schließt sich zum großen Finale, und dann bringen sie den Saal zum Brodeln.

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    Einundzwanzig
    D ienstagmorgen setzt der Regen ein, langsam und beständig. Es ist kalt genug, um zu schneien, doch stattdessen regnet es nur, tropf, tropf, tropf, endlos. Die Welt vor meinem Fenster versinkt hinter einem Vorhang aus Wasser. Die Fenster sind jetzt fest verschlossen. Die Spinnen haben keine Chance mehr.
    In drei Tagen kommt Tyler zurück; er hatte mir schließlich eine SMS geschrieben. Komme am W-Ende, sorry dass es so kurzfristig ist. Bis zu dem Moment schwelgte ich noch in dem Glücksgefühl von Grease , doch dann kam die SMS, und – pffft  – verschwunden waren mein Mut und dieser herrlich strahlende Stolz, in dem ich seit Sonntag gebadet hatte. Die Pizza, mit der ich mich auf der Aftershow-Party vollgestopft hatte, rumorte in meinen Eingeweiden, und trotz des ganzen Grolls und Wutgeschreis – trotz des inzwischen wohlvertrauten Feuers in mir – befiel mich zusehends mehr Panik, je näher die Stunde seiner Rückkehr kam.
    «Du solltest einen Blick riskieren, um zu wissen, was auf dich zukommt», meinte Ashley, als sie mich gestern aus dem Krankenhaus anrief. «Weißt du, nur ein kleiner Blick, vielleicht findest du dann eine Möglichkeit, damit umzugehen.»
    Ich habe ihr nicht erzählt, dass ich es bereits versucht habe. Ich war derart verzweifelt, dass ich meinen Pakt mit mir, endgültig die Finger von den Visionen zu lassen, längst gebrochen habe, aber gesehen habe ich nichts. Gar nichts! Vorgestern Abend bin ich zufällig über ein Selbstporträt aus meinem letzten Jahr an der High School gestolpert. Ich habe es über eine Stunde lang angestarrt, bis mir schwummrig vor Augen wurde und mich heftige Kopfschmerzen gezwungen haben aufzuhören. Erst da ist mir klargeworden, dass ich bis jetzt nur in das Leben anderer Leute sehen konnte. Nicht in mein eigenes. Der Blick in meine eigene Zukunft ist gegen die Spielregeln. Wenn ich also wirklich wissen wollte, was geschieht, wenn ich doch schwach werden sollte, müsste ich mir meine Zukunft aus den Einzelteilen der anderen Visionen zusammenstricken, aus den Puzzlestücken, die ich bis jetzt absichtlich nicht zu einem ganzen Bild gefügt habe. Nein danke! , dachte ich und legte das Foto weg. Nein! Vielen Dank auch!
    Gestern Abend hat Tyler angerufen, um mir die Flugdaten durchzugeben und mir zu sagen, dass Austin ihn abholen und bei sich beherbergen wird und ob ich womöglich aus dem Schullager ein paar Umzugskisten organisieren könnte, weil er damit ein paar Kröten beim Umzug sparen würde. Ich hätte ihn deshalb am liebsten erwürgt – Herrgott noch mal, hast du nicht schon genug von mir verlangt? , hätte ich brüllen mögen, aber stattdessen habe ich höflich eingewilligt, weil es der einfachste Weg zu sein schien.
    Und jetzt sitze ich an meinem Schreibtisch, bis zu Tylers Ankunft sind es noch drei Tage, der Regen trommelt gegen das Fenster, auf dem Tisch liegt neben drei randvollen Ordnern mit College-Bewerbungen die Einladung zur Prom Night, und all das ist in weniger als zwei Wochen fällig. «Westlake in Paris!» , verkünden verschnörkelte Goldlettern auf kremfarbenem Papier. Ich habe mich immer noch nicht an die Tatsache gewöhnt, dass ich zum ersten Mal seit, nein, zum ersten Mal überhaupt, wahrscheinlich allein an der Prom Night teilnehmen werde. Ich würde gern mit Eli hingehen, schon der netten Gesellschaft wegen, aber ich vermute, dass er es, trotz unserer Freundschaft, einer anderen versprochen hat. Als ich endlich meinen Mut zusammengenommen und ihn auf der Rückfahrt von unserer Wanderung nach einer Freundin gefragt hatte, antwortete er nur mit einem vagen «komplizierte Geschichte», woraufhin mich besagter Mut augenblicklich wieder verließ. Ich bohrte nicht weiter nach.
    Quietschend öffnet sich die Tür, und CJ streckt den Kopf herein. Sie ist noch immer in Hochstimmung von den euphorischen Kritiken und dem unglaublichen Schlussapplaus. «You’re the one that I want!» Dieses Mädel weiß wirklich, was sie will. Scheiß auf die Umstände, scheiß auf ihre kaputte Heimatstadt, scheiß auf die Tatsache, dass sie noch nie die besten Karten hatte. Sie hat immer schon gewusst, was sie

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