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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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entzog ihnen de facto wieder das Wahlrecht, das ihnen 1870 im 15. Amendment zugesichert worden war. Die Barrieren kamen in der Gestalt eines Zensus oder einer Wahlsteuer oder von Rechtschreibtests, die zu erfüllen den Schwarzen wegen ihrer Armut und ihres mangelnden Zugangs zu Bildung schwer fiel. Aber im Zweifelsfall nützte das auch nichts, denn in den Büros der Wählerregistrierung herrschten Willkür und Manipulation.
    Den Ausschluss ärmerer und schreibunkundiger weißer Männer verhinderten Regelungen wie die «Grandfather Clause», nach der weiterhin wählen durfte, wessen Großvater das schon getan hatte – da waren die Nachkommen der Sklaven natürlich ohne Chance. Die Demokratische Partei, die in dieser Zeit nahezu eine Monopolstellung im Süden genoss – die Republikaner waren ja die verhasste Partei Lincolns –, ließ nur noch Weiße zu ihren «Primaries», den parteiinternen Vorwahlen,zu; wegen der fehlenden Konkurrenz stand das Ergebnis der eigentlichen Wahlen dann auch schon fest. In Louisiana konnten 1896 noch 130.000 schwarze Bürger wählen, acht Jahre später waren es gerade noch 1300. In den Nordstaaten mochte man sich darüber mokieren, aber nach mehreren Jahrzehnten heftigen Konfliktes zwischen den 1850er Jahren und 1877, standen die Zeichen auf Versöhnung und Nichteinmischung. Der Entzug des Wahlrechts trat zudem im Gewande der «Progressiven Reform» auf, einer Bewegung, die am Anfang des 20. Jahrhunderts auch im Norden für mehr Effizienz und Rationalität in Wirtschaft und Politik eintrat. Mit dem Hinweis auf die zuvor angeblich chaotischen und korrupten Verhältnisse konnte man die Entrechtung der Schwarzen als Teil einer Kampagne für sauberes Regieren rechtfertigen.
    Gleichzeitig errichteten die Weißen ein ausgefeiltes System der Rassentrennung, das in beinahe allen öffentlichen Räumen getrennte Einrichtungen für die Schwarzen vorsah. «Nur für Weiße» oder «Nur für Schwarze» hieß es in den öffentlichen Verkehrsmitteln, vor allem in Eisenbahnzügen, in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, vor Gericht, bei Sportveranstaltungen und überhaupt in allen Bereichen von Freizeit und Alltag. Denn auch hier gingen Reform und Rassismus eine Allianz ein: Die progressiven Reformer hatten sich die Verbesserung der öffentlichen Lebensqualität auf die Fahne geschrieben; überall entstanden am Anfang des 20. Jahrhunderts neue Parks in den Städten, Spielplätze für Kinder, Schwimmbäder. Je neuer diese Einrichtungen waren, desto sicherer waren sie rassisch segregiert, hat der Historiker Edward Ayers festgestellt. Das oberste Bundesgericht bestätigte die Verfassungsmäßigkeit dieser Rassentrennung schon 1896 in dem berühmt gewordenen Urteil
Plessy v. Ferguson:
Sie verletzte angeblich nicht den Gleichheitsgrundsatz – eine Auffassung, die das Gericht erst 1954, etwa zwei Generationen später, revidierte. Mindestens so lange, bis in die Mitte der 1960er Jahre, dauerte es auch, bis das Regime der Rassentrennung im amerikanischen Süden fiel – und die Afro-Amerikaner das Wahlrecht zurückgewannen. Viele von ihnen waren in der Zwischenzeit, im Zuge der «Great Migration», in nördliche Städte wie Chicago, Detroit und New York abgewandert, wo sie weiterhin auf Rassismus stießen, aber ungleich größere ökonomische und politische Chancen besaßen.
    Diese Flucht war auch eine Reaktion auf das Umschlagen des Rassismus in Gewalt. Eine Schwelle wurde auch hier am Ende des 19. Jahrhundertsüberschritten, zum Beispiel mit dem Angriff eines weißen Mobs auf die Afro-Amerikaner in der Hafenstadt Wilmington in North Carolina 1898. Zur Verteidigung ihrer «Ehre», einer massiv sexuell aufgeladenen Vorstellung – denn meist waren es schwarze Männer, die angeblich weißen Frauen nachstellten –, organisierten sich die Weißen in Bürgermilizen und paramilitärischen Verbänden, oft unter Führung der lokalen Honoratioren. Der rassistische Geheimbund des Ku Klux Klan, nach dem Bürgerkrieg entstanden, erlebte in den 1920er Jahren eine zweite Blüte. Die Zwischenkriegszeit bildete auch den Höhepunkt einer Welle brutaler Lynchmorde. In dieser Phase existierte Demokratie in den Südstaaten der USA, von Virginia bis Texas, nur noch als Fassade einer weißen Rassenherrschaft. Aber wie schon um die

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