Was ist Demokratie
gröÃere populistische Anziehungskraft auf die Massen entwickelte zur gleichen Zeit der katholische PriesterCharles Coughlin, der von Detroit aus das neue Medium des Radios für seine antikapitalistischen, zunehmend auch fremdenfeindlichen und antisemitischen Botschaften virtuos nutzte. Seit 1936 trat diese Tendenz in seinen Radiopredigten, auch im Versuch, eine paramilitärische «Christian Front» zu organisieren, immer deutlicher hervor; aus seiner Sympathie für Hitler und Mussolini machte er noch nach Beginn des Krieges kein Hehl.
Insgesamt aber blieb die Resonanz auf solche Aktivitäten in den USA begrenzt. Die skeptischen Stimmen gewannen nie die Ãbermacht im politischen Diskurs; in einen regelrechten antidemokratischen Defaitismus und Hass, wie er in Mittel- und Osteuropa weit verbreitet war, arteten sie kaum je aus. Die Aufforderung, in der Krise zu den demokratischen Ursprüngen des Landes zurückzukehren, stand immer wieder dagegen, seit Anfang der 1930er Jahre gewann sie sogar allmählich die Oberhand zurück. Darin steckte zweifellos viel romantische Idealisierung der Vergangenheit wie bei Dewey oder wie in den Schriften des Architekten Frank Lloyd Wright, der 1932 in der «Verschwindenden Stadt» seine Vision für die Ãberwindung der städtisch-bürokratisch korrumpierten Massengesellschaft entwarf. Das «natürliche Ideal» der Demokratie sei die «organische Einheit», nicht die technische Fragmentierung; als Individuen müssten die Menschen den Bewegungsspielraum zurückgewinnen, der im Zeitalter der Zentralisierung, Organisation und Hierarchie verloren wurde. Ein Verächter der Technik war er nicht â heute lächeln wir darüber, dass man in seiner aufgelockerten Stadt mit Ufo-artigen Privathubschraubern von der Wohnung zum Arbeitsplatz gelangen sollte. Seine privaten und öffentlichen Bauten aber hoben sich tatsächlich vom Monumentalismus der faschistischen Architektur ebenso ab wie vom antimodernen Historismus des Siedlungsbaus Paul Schmitthenners im «Dritten Reich». In Deutschland folgten die romantischen Impulse jedenfalls eher einer antidemokratischen Tendenz.
In der politischen Geschichte schlieÃlich entschied sich die demokratische Gratwanderung der Zwischenkriegszeit klarer und folgenreicher als irgendwo sonst. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, inmitten von Massenarbeitslosigkeit und sozialer Not, übernahm Franklin D. Roosevelt Anfang März 1933, nur fünf Wochen nach der Ernennung Adolf Hitlers zum deutschen Reichskanzler, die Geschäfte im WeiÃen Haus. Seine Politik des «New Deal» wollte nicht nur Menschen wieder in Arbeit bringen oder Familien soziale Sicherheit gebenâ das mochte auch einer Diktatur, wenngleich mit rassischer und militaristischer Verkrümmung, gelingen. Roosevelt wollte vielmehr zeigen, dass in einer tiefen Krise des Kapitalismus und des demokratischen Vertrauens die Mittel der Demokratie noch nicht am Ende waren â und dass sie sich dabei nicht klein machen, nicht rhetorisch verstecken musste. Denn er hörte nicht auf, von der Demokratie zu sprechen und für sie zu werben.
6 Carl Schmitt:
Demokratie jenseits des Liberalismus?
Wenn man die Kritik der Demokratie im frühen 20. Jahrhundert in nur zwei Personen bündeln müsste, dann wären das Lenin â und Carl Schmitt. Lenin zerlegte die liberale Demokratie mit eiskalter Schärfe in seinen Schriften und war darüber hinaus ein Mann der Tat, ein glänzender Redner und Organisator. Insofern reicht Carl Schmitt nicht entfernt an ihn und seine in der russischen Oktoberrevolution gründende Wirkung heran: ein äuÃerlich unauffälliger Akademiker, ein akribischer Wissenschaftler und gründlich gebildeter Gelehrter; ein Professor eben, der nur durch das Wort handelte, und noch nicht einmal durch das öffentlich gesprochene, sondern durch seine Schriften. Darin allerdings war Schmitt wiederum Lenin überlegen. Er formulierte in schneidender Klarheit, er argumentierte brillant und mit einer Suggestivität, die Widerspruch nicht leicht machte.
Mit diesen Eigenschaften hat der 1888 geborene Jurist im Ãbergang aus dem Kaiserreich in die Weimarer Republik schnell Karriere an Universitäten gemacht â und auch politischen Einfluss gewonnen. Besonders in der frühen Phase des «Dritten Reiches» rechtfertigte das NSDAP-Mitglied Carl Schmitt den
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