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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Jahrhundertwende spiegelten sich darin auch der zunehmende Rassismus der ganzen Nation und eine neue Fremdenfeindlichkeit. Nach dem Ersten Weltkrieg setzten sich Bemühungen um eine Begrenzung der Einwanderung, die vor allem gegen die «rassisch» für unterlegen erachteten Ost- und Südeuropäer, aber auch Asiaten gerichtet waren, politisch immer mehr durch. Das Einwanderungsgesetz von 1924 legte im Geiste dieses «Nativismus» die Hürden so hoch wie nie zuvor. Dabei wusste man sich im Einklang mit rassehygienischen Vorstellungen, die in Europa populär waren. Die eugenische Bewegung, die zur Verhinderung «erbkranken» Nachwuchses Maßnahmen wie die Zwangssterilisierung vorschlug, reichte von Deutschland über das liberal-sozialdemokratische Skandinavien bis in die USA.
    In den 1920er und frühen 1930er Jahren hatte Amerika auch Anteil an anderen Momenten der europäischen Demokratiekritik. Allgemein nahm das Gefühl zu, die Demokratie habe ihre besten Zeiten möglicherweise hinter sich und sei historisch, nach einer langen Phase von Aufstieg und Expansion, in ein Stadium des Niedergangs eingetreten. Selbst ein so vehementer und grundoptimistischer Kämpfer für die Demokratie wie der Philosoph John Dewey bilanzierte diese Stimmung 1927 elegisch – er sah den Optimismus über die Entwicklung der Demokratie «unter einer Wolke». Der wirtschaftliche und technische Fortschritt begünstige vertikale Hierarchien statt horizontale Gleichheit, wie sie früher auf dem Lande und in den Kleinstädten geherrscht hätten. Die Prinzipien des «Big Business» hatten auch in die Politik Einzug gehalten, Parteien und Parlamente spielten nicht mehr ihre freie Rolle von einst, und als Ergebnis breiteten sich in der Bevölkerung Indifferenz und Apathie, sogar eine Verachtung für die Politik aus. Deweyselbst widersprach jeglichem Fatalismus; schon gar nicht bevorzugte er eine vermeintlich rationalere, autokratische Alternative. Mit einem erheblichen Schuss Romantik wollte er stattdessen auf die Suche nach einer neuen «Großen Gemeinschaft» gehen. Die Parallelen zur europäischen, zumal zur deutschen Suche nach der «Volksgemeinschaft» in den 1920er Jahren sind nicht zu übersehen, aber Deweys Vision blieb eine genuin demokratische; sie ähnelte, wenn überhaupt, eher der in der SPD damals weit verbreiteten Beschwörung der Volksgemeinschaft, nicht der nationalsozialistischen.
    Andere aber bekannten sich zu den scheinbar notwendigen Konsequenzen des Übergangs in die technisch-industrielle Gesellschaft für die Demokratie, selbst wenn sie als liberale Reformer auftraten wie der Journalist Walter Lippmann. Er hatte 1913 zu den Begründern der einflussreichen progressiven Zeitschrift «The New Republic» gehört und im Ersten Weltkrieg Präsident Wilson beraten. In den 1920er Jahren machten seine Analysen eines Strukturwandels der Öffentlichkeit im technisch-industriellen Zeitalter Furore. Die Ur-Öffentlichkeit aktiver Bürger galt in einer nationalisierten Mediengesellschaft nicht mehr; an die Stelle der demokratischen Unmittelbarkeit war das Phantom der «öffentlichen Meinung» getreten. In seinem Buch «Public Opinion» plädierte Lippmann 1922 wie viele andere dafür, die Ideale der Demokratie herunterzuschrauben und der mageren Realität anzupassen. Politik würde nicht mehr von den Bürgerinnen und Bürgern gemacht, sondern von einer regierenden Klasse, von Eliten, Experten und Bürokraten. Solche Diagnosen standen denen eines Robert Michels in Europa nicht allzu fern, doch in eine Sympathie für eine autokratische Führerherrschaft mündete das in den USA nur selten.
    Manche populistischen Bewegungen kamen um 1930 aber auch hier einem rechten Extremismus, vielleicht sogar einem Protofaschismus, sehr nahe. In Louisiana stieg Huey Long, zunächst Gouverneur seines Staates und dann Senator in Washington, als populistischer Demagoge mit manchmal diktatorischem Gehabe auf. Die Rhetorik war häufig, in der Tradition des Populismus einer Generation zuvor, antikapitalistisch, und die von Long 1930 gegründete Zeitung führte den «Fortschritt» im Namen. Aber der Stil erinnerte mehr, zumal in der segregierten Gesellschaft des Südens, an rechte Charismatiker Europas. Long liebäugelte mit einer Präsidentschaftskandidatur, als er 1935 einem Attentat zum Opfer fiel. Eine noch

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