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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Eloquenz jeder historischen und systematischen Grundlage entbehrte – und die Demokratie zu einer Hülle werden ließ, die man im nächsten Schritt bequem der Diktatur überstreifen konnte. Seine These vom parallelen, aber nicht symbiotischen Aufstieg von Liberalismus und Demokratie klingt zunächst plausibel, ist aber schlichtweg falsch. Sicher, Parlamentarismus bedeutete noch nicht Demokratie – aber gerade in England, wo diese Differenz angesichts einer langen Parlamentsgeschichte besonders klar hervortritt, ist die Demokratie durch das Parlament und im Parlament schrittweise entstanden: durch parlamentarische Reformgesetze und in der Ausweitung und schließlich Gleichmachung von Repräsentation zwischen 1832 und 1928. Für die USA oder Frankreich ist Schmitts These nichts weniger als grotesk. Dazu genügt ein Hinweis auf die Souveränitätserklärung des Dritten Standes als Vertretung der Nation und die daraus folgenden Prinzipien von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit; dafür genügt der Blick auf die Verbindung von Egalitarismus und Repräsentation in der Amerikanischen Revolution oder in der Demokratisierung von Wahlrecht und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. In Deutschland belehrt die Geschichte der Revolution von 1848/49 Schmitt eigentlich eines Besseren. Aber die Trennung ist nicht bloß empirisch falsch. Denn mit dem vermeintlich überlebten Parlamentarismus ließ Carl Schmitt nicht nur das Parlament in der Versenkung verschwinden, sondern – unausgesprochen – auch den weiten Bereich der liberalen Grund- und Freiheitsrechte, die ebenfalls in mehr als nur zufälliger Verbindung zur Demokratie stehen.
    Ãœbrig blieb eine «Demokratie», die sich nicht auf Freiheit und Gleichheit, sondern allein auf eine Pseudo-Gleichheit stützte. Demokratie habe ihren Kern im Gleichheitsgedanken, so meinte Schmitt, und dieser führe unweigerlich auf «Homogenität». Er führte die Unterscheidung von Freund und Feind gewissermaßen in die demokratische Gleichheit ein, indem er sie als Unterscheidung von «Gleichem» und «Nicht-Gleichem» wieder unterwanderte. Demokratie meint deshalb nicht nur die Gleichförmigkeit derer, die zu ihr gehören – sondern auch «die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen». Man kann diesen Gedankenschritt heute nur verstehen, wenn man sich zwei überlappende Erfahrungen des frühen 20. Jahrhunderts erneut vor Augen führt: den ungemein starken Eindruck einer nivellierten Gleichförmigkeit der Massen, vom großstädtischen Alltag bis an die Front desErsten Weltkriegs – und die gleichzeitige Obsession mit dem Gegner, dem Fremden, dem Anderen, die Kolonialismus und Rassismus genährt hatten. Die «Vernichtung des Heterogenen» war keineswegs eine Metapher, sondern so tödlich, ja genozidal gemeint, wie wir sie heute unweigerlich lesen. Schmitt erläuterte sie nämlich ganz kühl mit dem Hinweis auf ethnische Grenzziehungen und Vertreibungen zu seiner Zeit. Wenn nur der «Wille des Volkes» sich artikuliere, homogen durchgeformt und befreit von Fremdem, von Opposition, von abweichender Meinung, dann könne man von Demokratie sprechen. Bolschewismus und italienischer Faschismus, deren Aufstieg Schmitt beobachtete, seien deshalb «wie jede Diktatur zwar antiliberal, aber nicht notwendig antidemokratisch. In der Geschichte der Demokratie gibt es manche Diktaturen, Cäsarismen und andere Beispiele auffälliger, für die liberalen Traditionen des letzten Jahrhunderts ungewöhnlicher Methoden, den Willen des Volkes zu bilden und eine Homogenität zu schaffen.» Wie könne man darauf kommen, so höhnte Schmitt geradezu, der Wille des Volkes bilde sich am besten in Wahlen ab? Durch Zuruf, durch Akklamation, durch «unwidersprochenes Dasein» geschehe dies heute viel besser und zeitgemäßer – also durch jene Verfahren einer Diktatur, die dann auch die Nationalsozialisten anwandten.
    Als Kronzeuge für diese Auffassung von Demokratie diente Jean-Jacques Rousseau mit seiner Theorie vom Gesellschaftsvertrag und gesellschaftlichen Gesamtwillen, der «volonté générale». Das war wiederum nicht besonders originell – in der Parlamentarismuskritik des frühen 20. Jahrhunderts war Rousseau, den man eher einer «linken», sozialegalitären Strömung zurechnen kann, gerade bei der Rechten sehr beliebt. Auch

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