Was ist Demokratie
auf ihr Ende und Scheitern hin zu beschreiben. Denn zum einen steckten in dieser Geschichte zahlreiche Impulse für die sozial- und kulturgeschichtliche Entwicklung Deutschlands, die über das «Dritte Reich» hinweg in die Modernisierung der zweiten Jahrhunderthälfte wirkten: Kulturen der Reform und der «neuen Sachlichkeit», Anfänge von Konsumgesellschaft und kommerzialisierter Massenkultur. Zum anderen war es auch um die Demokratie nicht durchweg schlecht bestellt. Angesichts eines schwierigen Beginns und auch weiterhin, besonders bis 1923, rauer äuÃerer Umstände erreichte sie vielmehr ein beachtliches Maà an Stabilität und Erfolg. Die Weimarer Republik war nicht von vornherein dem Untergang geweiht. Aber Anfang 1933 endete sie definitiv, ob man dafür den Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, also den 30. Januar, wählt, oder die Zerstörung der Demokratie und den Ãbergang in die Diktatur erst im Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 vollzogen sieht. Deshalb bleibt die Frage nach den Schwächen der Weimarer Republik und nach den Ursachen ihres Scheiterns zentral, in der Geschichtswissenschaft ebenso wie in einer breiteren öffentlichen Debatte.
Zu den dauerhaften Belastungen gehörte gewiss schon die Gründungskonstellation aus der Ãberlagerung von Kriegsende und Revolution. Auch wenn ältere Sichtweisen auf die «Schmach» von Versaillesund die Bedingungen dieses Diktatfriedens längst in den Hintergrund getreten sind, bleiben der kollektivpsychologische Schock der Niederlage und das Trauma der verlorenen Weltmachtstellung, einschlieÃlich des Verlustes der überseeischen Kolonien, mächtige Prägefaktoren für Unzufriedenheit und Revisionsbestrebungen, die sich die Nationalsozialisten geschickt zunutze machten. Die Gründung des neuen Staates in einer, wie es vielen schien, nur halb vollzogenen Revolution nährte Unzufriedenheit auf der Rechten wie auf der Linken. Die einen mochten die Republik nicht akzeptieren, erschauderten bei der Vorstellung von Sozialdemokraten in höchsten Regierungsämtern oder sogar, mit Friedrich Ebert als erstem Reichspräsidenten, an der Staatsspitze. Die anderen trauerten einer aus ihrer Sicht verpassten Chance nach, die Revolution weiterzutreiben, über den frühen Kompromiss mit den alten Eliten und die Stabilisierung in der parlamentarischen Republik hinaus. Die kurze Revolution von 1918/19 hat aber weder eine in der Rätebewegung unmittelbar vor der Tür stehende kommunistische Revolution gerade noch abgewehrt, noch besaÃen die Arbeiter- und Soldatenräte das Potential zu einer ernsthaften institutionellen Alternative zur repräsentativ-parlamentarischen Republik. SchlieÃlich war es dieses Ziel, für das die überwiegende Mehrheit der Sozialdemokratie viele Jahrzehnte gekämpft hatte, auch wenn die Realität für viele ernüchternd aussah.
Die von der Weimarer Nationalversammlung seit Januar 1919 erarbeitete Verfassung hat viel Kritik auf sich gezogen. Für manche war sie geradezu zu demokratisch, zum Beispiel mit dem neuen Verhältniswahlrecht, das kleinen Parteien zugutekam, oder mit den plebiszitären Elementen wie der direkten Volkswahl des Reichspräsidenten und Volksabstimmungen. Für andere enthielt sie zu viele autoritäre Elemente, die potentiell einer Diktatur den Weg bereiten konnten: wiederum in der Machtfülle des Reichspräsidenten und der im Art. 48 der Verfassung geschaffenen Möglichkeit des Regierens mit «Notverordnungen», wovon schon vor 1930 häufig Gebrauch gemacht wurde. Und oft war es die vermeintliche Inkonsistenz im Arrangement der Gewalten, die als eine fatale Schwäche zählte, besonders im Verhältnis von Reichstag und Reichspräsident. Aber diese Konstellation war von dem amerikanischen Modell nicht so weit entfernt (in dem es allerdings keine parlamentarische Regierung gibt) und ist noch näher verwandt mit der Fünften Republik Frankreichs, die dem Land seit 1958 zu einer vorher vermissten demokratischen Stabilität verhalf. Nimmt man dieBedeutung der Grundrechte hinzu und die relativ weit gehenden «materialen» Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung, die Deutschland auf dem Weg zu einem demokratischen Sozial- und Interventionsstaat weit voranbrachten, lässt sich eine Schwäche der Demokratie sicherlich nicht zuerst in ihrem institutionellen Gerüst
Weitere Kostenlose Bücher