Was ist Demokratie
finden.
So liegt der Umkehrschluss nahe, dem demokratischen Haus hätten die Bewohner gefehlt, die es erst mit Leben erfüllen müssen. Gab es in der Weimarer Republik zu wenige Demokraten? «Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik» nannte der Münchner Politologe Kurt Sontheimer 1962 ein Buch, das in der frühen Bundesrepublik schnell zu einem Klassiker der politischen Bildung aufstieg. Darin analysierte er die Vielfalt, ja Omnipräsenz eines politischen Denkens in den 1920er und frühen 1930er Jahren, das einem völkischen Nationalismus huldigte, wenn nicht gar einem rassischen Antisemitismus; das jenseits der Demokratie auf die Erlösung durch einen starken «Führer» wartete, wenn es denn schon kein Zurück zu den verlorenen Fürstenthronen gab; und dem ein fundamentales Verständnis für eine konfliktreiche und pluralistische Gesellschaft fehlte â stattdessen sehnte man sich nach der homogen-konformistischen «Volksgemeinschaft». Die weite Verbreitung solcher antidemokratischen Denkmuster besonders in der bürgerlichen, nationalkonservativen, überwiegend protestantischen Ãffentlichkeit machte es in der Tat nahezu unmöglich, einen mehrheitsfähigen demokratischen Konsensraum zu definieren, wie er in den westlichen Demokratien zur selben Zeit existierte und später in der Bundesrepublik relativ schnell, noch in den 1950er Jahren, etabliert werden konnte.
Das heiÃt aber nicht, dass es demokratische Ãberzeugungen in der Weimarer Republik nicht gegeben hätte. Dem antidemokratischen stand ein demokratisches Denken, eine demokratische Ãffentlichkeit gegenüber, die ihrerseits nicht 1918 vom Himmel fiel, sondern in demokratischen Traditionen des Kaiserreichs â in der Arbeiterbewegung, in der demokratischen Minderheit des Bürgertums, teils auch im Katholizismus â wurzelte. Führende Wissenschaftler wie der Berliner Staatsrechtler Hugo Preuà hatten die Verfassung vorgedacht und mitgeschrieben; andere wie Hermann Heller und Hans Kelsen prägten eine eigene Weimarer Demokratietheorie; etliche ihrer Kollegen blieben freilich auch skeptisch wie der einflussreiche Gerhard Leibholz, der erst in der frühen Bundesrepublik manche antiliberalen Vorbehalte über Bord warf. In der breiteren Ãffentlichkeit wirkten, neben der sozialdemokratischenParteipresse, führende Tageszeitungen wie die «Frankfurter Zeitung» und die «Vossische Zeitung» in Berlin als vehemente Verfechter der Demokratie auch in das gebildete Bürgertum hinein. Publizisten wie Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky oder Leopold Schwarzschild fochten mit glänzendem Stil eine scharfe Klinge in Blättern wie der «Weltbühne» und dem «Tage-Buch», in denen neben politischer Ãberzeugung auch die kulturelle Weltgeltung des Berlins der 1920er Jahre zum Ausdruck kam.
Freilich lassen sich auch in diesem demokratischen Denken verschiedene Schwächen ausmachen. Am linken Flügel der radikal-demokratischen Publizistik herrschte, wie in Ossietzkys «Weltbühne», manchmal ein Anspruch der Absolutheit, der die demokratischen Alltagsgeschäfte nicht gelten lassen wollte. Und häufig fehlte bei den Anhängern der Demokratie in der Weimarer Republik die Vorstellung, man müsse sie auch in der politischen Praxis vehement gegen ihre Gegner verteidigen, so wie es die Bundesrepublik später mit ihrem Verständnis von der «wehrhaften Demokratie» definierte. Mit dem Republikschutzgesetz von 1922 verfügte Deutschland zwar durchaus über ein nicht nur symbolisch wichtiges, sondern oft auch effektiv angewandtes Instrument der demokratischen Selbstverteidigung; auch Verbote antidemokratischer Parteien sind nicht erst eine Erfindung der Bundesrepublik. Aber oft fehlte es an einem breiteren Konsens und der Nachhaltigkeit in der Strafverfolgungspraxis. Zudem prägte eine Haltung des Relativismus wichtige Teile der Staatsrechtslehre. In einer Schrift mit dem Titel «Verteidigung der Demokratie» definierte Hans Kelsen sie noch 1932 geradezu als «diejenige Staatsform, die sich am wenigsten gegen ihre Gegner wehrt». Wenn das Volk die Demokratie nicht mehr wolle, dürfe die Demokratie sich nicht darüber hinwegsetzen; sie dürfe «nicht zur Diktatur greifen, um die Demokratie zu retten».
Erst recht ergibt sich wieder ein ungünstigeres Bild, wenn man neben Verfassung und Publizistik auf die
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