Was ist Demokratie
gegen den Feind fand für ihn nicht in parlamentarischen Redeschlachten statt, sondern in ganz anderen Schlachten, in realer Gewalt. Ãberzeugt von der Prämisse, man müsse eine Sache immer von ihrem extremsten Fall her denken, sah er im Krieg, ob als äuÃerer Staatenkrieg oder innerer Bürgerkrieg, den klarsten, den paradigmatischen Fall des politischen Kampfes. Das war durchaus typisch für seine Generation, die Generation des Ersten Weltkriegs mit ihrer überwältigenden Erfahrung der massenhaften Tötung und scheinbar zur Normalität werdenden Gewalt. Aber die Entstehung einer neuen politischen Ãsthetik der Gewalt reichte bis in die Zeit der Jahrhundertwende zurück, wie in den bei Linken und Rechten gleichermaÃen einflussreichen «Réflexions sur la violence» des französischen Grenzgängers Georges Sorel von 1908, und verschwand erst nach 1945, von Grenzgängern der Gewaltromantik abgesehen, aus dem Hauptstrom der politischen Kultur Europas.
Unverkennbar prägte das Erleben der Weimarer Republik auch die Sicht Carl Schmitts auf Parlamentarismus und Demokratie, die er â wiederum sehr pointiert und einflussreich â 1923 in einer Schrift über die «geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus» entfaltete und in einem markanten Vorwort 1926 noch einmal zuspitzte. Der Titel klang hochtrabend und sorgenvoll; tatsächlich ging es jedoch um nichts weniger als eine Totenrede auf den Parlamentarismus. Ganz in der schon bekannten Form einer «Historisierung» des 19. Jahrhunderts wies Schmitt ihn nämlich, gemeinsam mit dem Liberalismus, dessen Ausdruck parlamentarische Politik sei, einer zu Ende gehenden Epocheder Geschichte zu. Das Zeitalter des Individuums gehe zu Ende, das Zeitalter der Masse ziehe herauf und damit auch einer «Massendemokratie», die ganz andere Verfahren benötige als im 19.Jahrhundert. In diesem historischen Ãbergang zeige sich also, dass Liberalismus und Demokratie gar nicht wesensgemäà zusammengehörten. Wir haben uns nur, meinte Schmitt, von ihrem parallelen Aufstieg seit der Französischen Revolution täuschen lassen. Zur liberalen Demokratie gehörte das Parlament mit seinen Prinzipien der Ãffentlichkeit und der Diskussion. In der heutigen politischen Realität aber sei eine solche, parlamentarisch diskutierende Demokratie nicht mehr glaubwürdig und nicht mehr funktionsfähig. Die moderne Massendemokratie hat «die argumentierende öffentliche Diskussion zu einer leeren Formalität gemacht».
Damit folgte Schmitt einer breiteren Strömung der Parlamentarismuskritik, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, besonders seit dem Ersten Weltkrieg, eine kontinentaleuropäische Konstante bildete. Auch Max Webers intensives Bohren in der Rolle des Parlaments fügte sich in dieses gröÃere Bild einer Kritik von Parlament und repräsentativer Demokratie ein, in dem es immer wieder um dieselben zwei Punkte ging: Erstens würde im Parlament zu viel geredet und zu wenig gearbeitet. Das konnte man, wie Weber, eher als eine Aufforderung zur Stärkung des Parlaments verstehen, nachdem es im Kaiserreich so scharf von der monarchisch-bürokratischen Exekutive getrennt war. Man konnte aber auch, wie die radikale Linke mit Lenin, einen frontalen Angriff auf die «Schwatzbude» daraus machen. Bei allen Unterschieden wies ein entschiedener Verteidiger der repräsentativen Demokratie wie Hans Kelsen aber doch zurecht auf die Ãhnlichkeiten in dem Bestreben hin, aus den Parlamenten «Verwaltungskörper» zu machen. Denn die Denunziation als Schwatzbude teilte in der Weimarer Republik wiederum die radikale Rechte. Carl Schmitts Kritik war jedoch subtiler und seine Zielvorstellung eine andere. Zweitens nämlich komme der Wille des Volkes im Parlament nicht angemessen zum Ausdruck; an die Stelle der Repräsentation müsse deshalb die direkte Herrschaft des Volkes treten, wofür der Aufstieg der Massengesellschaft gerade die historischen Voraussetzungen schaffe.
Ablehnung der bürgerlichen Ãbergangsformen des 19. Jahrhunderts; in der Abwägung zwischen Parlament und Demokratie die Präferenz für letztere; und Demokratie verstanden als direkte Artikulation des Volkswillens: Was war daran so schlimm? Carl Schmitt trieb einen Keilzwischen Liberalismus (einschlieÃlich Repräsentativverfassung) und Demokratie, der bei aller
Weitere Kostenlose Bücher