Was ist Demokratie
Robert Michels hatte sich auf ihn berufen, um ein absolutes «Gemeinwohl» zu stilisieren, das in den «oligarchischen Tendenzen» zu Führung und Hierarchie neu definiert werden müsse. Schmitt meinte aus Rousseaus «Contrat Social» herauszulesen, dass es im demokratischen Staat keine Parteien und Sonderinteressen geben dürfe, und dass der «Gesamtwillen» des Volkes unmittelbaren Ausdruck finden müsse, in einer Identität zwischen Regierenden und Regierten. Darin lag zwar eine arge Vereinfachung, aber tatsächlich war Rousseaus Vorstellung von Demokratie in vieler Hinsicht noch vorrevolutionär; sie hing an dem klassisch-athenischen Konzept von unmittelbarer Volksherrschaft, wie es seit Jahrhunderten gepflegt worden war, und kannte insofern weder eine pluralistische Gesellschaft noch ein modernes Parlament. Aber wie auch immer man Rousseau versteht,an dem sich bis heute in der Geschichte und Theorie der Demokratie die Geister scheiden â
nach
Carl Schmitt, das heiÃt im Bewusstsein seiner Denkfehler, kann man eine direkte Verwirklichung «des» Volkswillens nur fordern, wenn man sich zugleich an den Abgrund der Homogenität erinnert.
Nach
Carl Schmitt kann man die repräsentative Demokratie nicht mehr kritisieren, indem man sie als ein vermeintliches historisches Relikt identifiziert, das mit dem eigentlichen Kern von Demokratie nichts zu tun habe.
Dennoch ist das Erbe von Carl Schmitt lebendig. Staatsbürgerliche Gleichheit mit Gleichförmigkeit, mit Homogenität zu verwechseln bleibt die rousseauistische Versuchung, der auch die realsozialistischen Regime Europas nach 1945 gefolgt sind. Und westlichen Gesellschaften fällt es bis heute nicht leicht, neue Formen der Heterogenität, der Verschiedenheit â in Herkunft, Rasse, Religion â anzuerkennen statt sie in Anpassung «gleich machen» zu wollen. Dass die Prinzipien von Diskussion und Ãffentlichkeit nicht historisch am Ende sind, wie viele in den 1920er Jahren glaubten, wissen wir längst. In den meisten Theorien von Demokratie spielt die öffentliche Debatte, die Diskussion der Bürgerinnen und Bürger, der Redestreit (und nicht der gewaltsame Kampf) eine wichtige Rolle, wenn nicht sogar die zentrale wie in Jürgen Habermasâ Entwurf einer Demokratie aus «Deliberation», aus dem gemeinsamen Wägen von Argumenten mit dem Ziel eines vernünftigen staatsbürgerlichen Konsenses. Immerhin hat Carl Schmitt auf Gefährdungen der Ãffentlichkeit und des Diskussionsprinzips hingewiesen, die bis heute nicht verschwunden sind, auch wenn man seine Konsequenz nicht zieht, dann lieber gleich darauf zu verzichten. Und seine Auffassung von der Politik als Kampf ist heute in Teilen der Linken wieder anschlussfähig, für die Demokratie nicht im vernünftigen Konsens und Kompromiss aufgehen kann: Moderne Demokratie droht in Konformität mit dem Bestehenden zu erstarren, wenn sie nicht den Streit, die fundamentale Differenz zum konstitutiven Prinzip macht. Politik ist asymmetrisch, und die «Hegemonie» der Mächtigen lässt fairen Konsens nicht ohne weiteres zu. So sagt es zum Beispiel die belgische Politologin Chantal Mouffe, die damit als Marxistin mit Carl Schmitt gegen Habermas in Stellung geht. Aber das ist kein Streit mehr zwischen liberaler Demokratie und Diktatur wie in den 1920er und 1930er Jahren, sondern ein Streit in der liberalen Demokratie geworden.
7 Demokratie ohne Demokraten?
Die Weimarer Republik
Die Ursachen für das Scheitern der Weimarer Republik beschäftigen die Forschung bis heute, auch wenn die Frage nicht mehr so unmittelbar politisch bedrängend ist wie in der frühen Zeit der Bundesrepublik, als man sich der Stabilität des zweiten Versuchs noch nicht sicher war und schlieÃlich feststellte: «Bonn ist nicht Weimar». Die Antworten sind komplizierter geworden, denn an einzelnen, vermeintlich schicksalhaften Faktoren hat es nicht gelegen: nicht an den moralischen und materiellen Belastungen des Versailler Vertrages nach dem Ersten Weltkrieg und nicht an prinzipiellen Defekten der Weimarer Reichsverfassung; an der Weltwirtschaftskrise ebenso wenig, für sich genommen, wie an der Spaltung der Arbeiterbewegung.
Nicht zuletzt ist man davon abgekommen, die Geschichte der ersten deutschen Demokratie â auch wenn sie nur vierzehn Jahre dauerte, so lang wie später die Kanzlerschaft Konrad Adenauers â vornehmlich
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