Was ist Demokratie
Verankerung demokratisch-republikanischer Gesinnung in der politischen Kultur, in den sozialen Milieus blickt, wenn man also nach den Weltanschauungen und Praktiken im Alltag der sozialen Klassen und politischen Lager fragt. Das Bürgertum, nicht zuletzt das kulturell tonangebende protestantische Bildungsbürgertum, blieb insgesamt eine Bastion des antirepublikanischen Konservativismus und sehnte sich nach der Hohenzollernmonarchie zurück, für die auch ein Reichspräsident Paul von Hindenburg seit 1925 nur einen vorläufigen Ersatz bot. Allenfalls bekannte man sich, wie derHistoriker Friedrich Meinecke in seiner berühmten Formel von 1919, zum «Vernunftrepublikaner», blieb aber «Herzensmonarchist». Erst recht galt das für die Oberschichten und Funktionseliten der Republik, die in kaum gebrochener Kontinuität die Schaltstellen informeller oder auch formeller Macht: nicht zuletzt in Justiz und Bürokratie, besetzten. Der Staat PreuÃen, wie im Kaiserreich der dominierende Teilstaat der Republik, entwickelte sich zwar zu einer beeindruckenden Bastion der Demokratie, geführt von Ministerpräsidenten wie dem Sozialdemokraten Otto Braun. Die ostelbischen Junker aber blieben eines der mächtigsten antidemokratischen Machtzentren, mit einem Einfluss, der von der ländlichen Gesellschaft bis in die Berliner Staatsspitzen reichte.
Auf der ganz entgegengesetzten Seite spielte die kommunistische Arbeiterbewegung eine mindestens sehr unglückliche Rolle. Unter der Führung Ernst Thälmanns arrangierte sich die KPD in den 1920er Jahren keineswegs mit der parlamentarischen Demokratie, sondern schlug einen zunehmend unversöhnlichen Kurs ein, folgte dem stalinistischen Vorbild der Sowjetunion und bekämpfte auch die SPD mit ideologischer Härte als politischen Feind. An der Basis schlug dieser Kurs zwar nicht ohne weiteres durch â hier wirkten eher Kontinuitäten des abgeschotteten Arbeitermilieus der wilhelminischen Zeit nach. Aber auch dieser Traditionalismus hemmte die demokratische Entwicklung, wenn man die Weimarer Republik so bekämpfen und revolutionär überwinden wollte, als sei sie der kaiserzeitliche Obrigkeitsstaat. Die KPD und ihr Milieu hatten zudem Anteil an einer Prägung der politischen Kultur, die lagerübergreifend den zivilen Konsens und die Bereitschaft zum friedlichen Konflikt aushöhlte: an einer Fixierung auf Gewalt, auf die Zuspitzung der politischen Auseinandersetzung im StraÃenkampf, häufig genährt von einem Kult der soldatischen Männlichkeit, der als Erbschaft des Ersten Weltkriegs nun auch von der jüngeren Generation übernommen wurde. Der erheblich gröÃere Teil dieser paramilitärischen Gewaltkultur war freilich auf der extremen Rechten angesiedelt und sammelte sich seit dem Ende der 1920er Jahre zunehmend in der NSDAP und ihren uniformierten Gewalttrupps, besonders der SA.
In einer Demokratie misst sich die politische Einstellung zuerst und unmittelbar in Wahlen. Seit der ersten demokratischen Wahl, der zur Nationalversammlung am 19.Januar 1919 (bei der auch die Frauen erstmals reichsweit Stimmrecht hatten), bröckelte die vorbehaltlose Unterstützung der Republik rasch ab. Die drei Parteien der sogenannten«Weimarer Koalition», also SPD, Zentrum (mit bayerischer Schwester BVP) und linksliberale DDP, erreichten im Umbruch der Revolution zusammen 76,2 Prozent der Stimmen. Schon bei der ersten Reichstagswahl von 1920 zeigte sich eine zentrifugale Entwicklung nach links und rechts; 1924 lagen die Weimarer Parteien noch bei 42,8 Prozent, und der Einfluss der rechtsliberalen DVP sowie der nationalkonservativen, eindeutig republikfeindlichen DNVP auf die Koalitionsbildungen nahm zu. Seitdem schrumpfte das demokratische Lager nur noch wenig, während der Aufstieg der NSDAP vor allem zu Lasten der bürgerlich-konservativen Parteien ging. Die linksliberale DDP verschwand schlieÃlich fast völlig, und bei der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 lag die NSDAP mit ihren 37,4 Prozent der Stimmen nur noch um einen Punkt hinter der gesamten «Weimarer Koalition». Für antidemokratische Parteien â NSDAP, DNVP und KPD â dagegen hatten sich fast 58 Prozent aller Wählerinnen und Wähler entschieden.
In den Novemberwahlen von 1932 verlor die NSDAP bereits wieder Stimmen; auch mit ihrem Partner DNVP gemeinsam erreichte sie in freien Wahlen nie eine Mehrheit der
Weitere Kostenlose Bücher