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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Stimmen und Sitze im Reich – wohl aber sehr oft in Ländern und Kommunen. Zudem hatte die parlamentarische Demokratie zu diesem Zeitpunkt bereits ihr normales Funktionieren eingestellt: Im März 1930 löste der Zentrumspolitiker Heinrich Brüning den Sozialdemokraten Hermann Müller als Reichskanzler ab; im Juli ließ Brüning den Reichstag auflösen – das markierte den Übergang zu den auf Notverordnungen gestützten Präsidialkabinetten. Nach außen erschienen sie vielen als Reaktion auf die dramatische Wirtschaftskrise und die rasch steigende Massenarbeitslosigkeit, die besondere Maßnahmen und Kompetenzen erforderte. Tatsächlich überschnitten sich Wirtschaftskrise und Staatskrise, und die Große Depression hat den Untergang der Weimarer Republik sicher befördert und beschleunigt, aber ebenso wenig verursacht wie ein gutes Jahrzehnt zuvor der Versailler Vertrag. Schon Brüning betrieb, gemeinsam mit Hindenburg und anderen reaktionären Eliten, den «zielgerichteten Prozess der Entparlamentarisierung» (Andreas Wirsching). Das heißt nicht, dass das Schicksal der Weimarer Republik im Sommer 1930 schon besiegelt war; gewiss nicht mit einer Diktatur Hitlers als Endpunkt. Aber als Retter der Demokratie in schwerer Krisenbedrängnis können Hindenburg und Brüning, und nach diesem Franz von Papen und Kurt Schleicher als letzte Reichskanzler vor Adolf Hitler, nicht gelten; sie haben die Demokratie vielmehr mit Absicht ausmanövriert.
    Deshalb kann man besser sagen, die Weimarer Republik sei an der Stärke ihrer Gegner als an der Schwäche der Demokraten gescheitert. Das bringt zugleich klar zum Ausdruck, dass es sich nicht um eine diffuse «Auflösung» oder einen «Untergang» der Demokratie handelt, der die Träger der Verantwortung dafür im Dunkeln lässt, sondern um eine aktiv betriebene Zerstörung. Diese Verantwortung aber müssen sich viele teilen, nicht zuletzt die Bürgerinnen und Bürger, die ganz normalen Deutschen, die in ihrer Mehrheit den Wert der Demokratie nicht erkannten. Hätten sie nicht massenhaft und schließlich mehrheitlich antidemokratische Parteien gewählt, allen voran die NSDAP, wäre die Weimarer Republik nicht gescheitert.
8 Volksstaat und Volksgemeinschaft:
Das «Dritte Reich»
    Die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland seit 1933, im Zweiten Weltkrieg auch über weite Teile Europas, der millionenfache Massenmord an Juden und anderen Ausgegrenzten der völkischen Utopie: Damit stehen die zwölf Jahre des «Dritten Reiches» für einen Tiefpunkt, der zugleich den extremsten Gegensatz zur Demokratie bildet. Die NS-Diktatur ist aber weder als Schicksal noch als historischer Unfall über Deutschland gekommen. In europäischer Perspektive setzte Hitlers Machtübernahme eine lange Reihe von Regimewechseln fort, die schon seit einem guten Jahrzehnt, in Italien 1922 beginnend, demokratische Verfassungen ausgehöhlt und autoritäre Regime an ihre Stelle gesetzt hatten. In Deutschland wurde sie von einer breiten Zustimmung getragen und von vielen als eine angemessene Antwort auf die langgehegten Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der Demokratie gesehen.
    Ohne die Loyalität und Mitarbeit von Teilen der Bevölkerung ist eine Diktatur nicht vorstellbar, schon gar nicht eine moderne des 20.Jahrhunderts. Denn sie kann weder hinter die politische Massenmobilisierung noch hinter die technisch ermöglichte Präsenz eines Massenpublikums zurückfallen; die Nationalsozialisten haben sich beides sogar auf besondere und manchmal innovative Weise zunutze gemacht. Die historische Forschung hat in der letzten Zeit die enge Beziehung zwischen «Volk» und «Diktatur» viel mehr als früher betont. Das NS-Regime stützte sich stärker auf das Volk, als man lange geglaubt hatte (oder wahrhaben wollte). Es bot den Volksgenossen materielle Leistungen,die scheinbar fortschrittlich waren oder sogar eine egalitäre Gesellschaft beförderten. Es beruhte dafür aber auch auf dem aktiven Mithandeln, nicht nur der passiven Zustimmung sehr vieler Deutscher.
    Kein Zweifel bestand schon für die Zeitgenossen daran, dass die NSDAP der Demokratie im Allgemeinen, dem von ihr verhassten Weimarer «System» im Besonderen entschieden feindlich gegenüberstand. Die Nazis beriefen sich auch selber nicht auf eine, wie auch immer von ihnen umdefinierte,

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