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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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«wahre» Demokratie jenseits der liberal-parlamentarischen. Das unterscheidet ihre politische Ideologie und ihr Selbstverständnis klar von den linken Grenzüberschreitungen im Sozialismus, die wie Lenin ein ambivalentes Verhältnis zum Begriff der Demokratie behielten oder sich sogar, wie in Ostmitteleuropa nach 1945, die Realisierung einer «Volksdemokratie» auf die Fahne schrieben. Im Einklang mit großen Teilen des bürgerlichen Konservatismus, Monarchismus und Radikalnationalismus seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und die deutschen «Ideen von 1914» weiterführend, verabscheuten die Nationalsozialisten die «westliche» Demokratie und die gesamte demokratisch-liberale Tradition, die sich damals wie heute mit der Chiffre «1789» verbindet, als dem deutschen Volke nicht wesensgemäß. Im völkischen Schrifttum mochte man, als historische Reminiszenz, angebliche germanische Traditionen der direkten Willensbildung gegen den westlichen Parlamentarismus setzen, aber das spielte keine praktische Rolle. Für Hitler und seine Verbündeten war klar: Es ging um ein neues politisches Ordnungsmodell weit jenseits der Demokratie, um eine «Führerherrschaft» mit plebiszitärer Abstützung, auf die in der scheinbar ausweglosen Krise der Weimarer Republik seit 1930 immer mehr Deutsche (und Wähler der NSDAP) ihre Hoffnung richteten. So gab es nach der «Machtergreifung», wie Sebastian Haffner schrieb, sogar «ein sehr verbreitetes Gefühl der Erlösung und Befreiung von der Demokratie».
    Den Eindruck einer solchen «Befreiung» hatten Millionen Deutsche nicht, die immer noch zur Weimarer Demokratie hielten und vor einer brutalen Diktatur Hitlers warnten; erst recht nicht die Zehntausende, die schon in den ersten Wochen nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler verfolgt, verhaftet, in die schnell errichteten Konzentrationslager der SA gesteckt, gefoltert wurden: zunächst vor allem politische Gegner des Nationalsozialismus auf der Linken, aus der Arbeiterbewegung. Die völlige Zerstörung der Demokratie vollzog sich in wenigen Monaten bis zum Sommer 1933, mit einigen Nachläufern bis ins folgendeJahr, als Hitler Ende Juni das ihm gefährliche Machtzentrum um Ernst Röhm liquidierte und nach dem Tod Hindenburgs im August zugleich Staatsoberhaupt, Regierungschef und militärischer Oberbefehlshaber wurde – als «Führer und Reichskanzler». So kann man an der nationalsozialistischen Revolution geradezu exemplarisch studieren, aus welchen einzelnen Bausteinen sich Demokratie zusammensetzt und was erforderlich ist, um sie zu beseitigen.
    Nicht zuerst die formelle Beseitigung der Verfassung – es genügte, sie durch eine Reihe von Sonderverordnungen auszuhebeln und sich immer mehr faktisch über sie hinwegzusetzen; für ungültig haben die Nazis die Weimarer Reichsverfassung von 1919 nie erklärt. Nach ihren eindrucksvollen Wahlerfolgen seit 1930 ließen sie und ihre deutschnationalen Bündnispartner sogar am 5. März 1933 noch einmal den Reichstag neu wählen, ohne in diesen halbfreien Wahlen eine absolute Mehrheit erreichen zu können. Danach war das Ende des Parlamentarismus aber schnell besiegelt, vor allem durch das «Ermächtigungsgesetz», das der Reichstag gegen die Stimmen der verbliebenen SPD-Abgeordneten, angeführt von Otto Wels, am 23.März verabschiedete. Dieser Freibrief für eine diktatorische Exekutive bedeutete das Ende der Gewaltenteilung. Das Ende einer unabhängigen Justiz kündigte Hitler in seiner Begründungsrede für das Ermächtigungsgesetz gleich mit an: Das Rechtswesen müsse in erster Linie der Erhaltung der Volksgemeinschaft dienen. Dem sollten die Richter durch eine «Elastizität der Urteilsfindung zum Wohle der Gesellschaft entsprechen. Nicht das Individuum kann Gegenstand der gesetzlichen Sorge sein, sondern das Volk.»
    Eine einschneidende Zäsur stellte aber bereits die «Verordnung zum Schutz von Volk und Staat» dar, mit der die neuen Machthaber den Reichstagsbrand zum willkommenen Anlass für die Aussetzung von Grundrechten nahmen. Die Freiheit der Person, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung, der Schutz vor willkürlicher Verhaftung – all das galt seit dem 28.Februar 1933 im Deutschen Reich «bis auf weiteres» nicht mehr. Mit Sondervollmachten konnte die

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