Was ist Demokratie
politischen Ordnung in Deutschland gewonnen, es steht im Mittelpunkt der politischen Kultur und des alltäglichen Deutungshorizontes der Demokratie, und das bei weitem nicht nur für die politische Klasse, sondern in einer breiteren Ãffentlichkeit und nicht zuletzt für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger. Das ist im internationalen Vergleich durchaus ungewöhnlich, jedenfalls im oberen Bereich einer Bandbreite. Vielleicht ist nur die Verfassungskultur der USA noch intensiver gewebt als die deutschenach dem Zweiten Weltkrieg. Die Gründe dafür sind mehrfach historisch gestaffelt.
Bei der Gründung der Bundesrepublik konnte man den Erfolg des Grundgesetzes noch nicht ermessen, nicht nur was sein äuÃeres Funktionieren und seine zeitliche Dauerhaftigkeit angeht, sondern auch seine Bedeutung als archimedischer Punkt der demokratischen Dynamik in Konflikt und Kritik. Zugleich wurzelt seine Stärke, den Provisoriumsbedenken zum Trotz, in der historischen Situation seiner Entstehung: Das Grundgesetz wurde zur Verfassung nach der totalitären Diktatur des Nationalsozialismus, nach verlorenem Eroberungskrieg und Völkermord. Es sollte die Verfassung des «Nie wieder» sein, und damit der verächtlich gemachten und zerstörten Verfassung der Weimarer Republik ein ganz anderes Beispiel entgegenhalten. Noch einmal sollten Menschenwürde und freiheitliche politische Ordnung nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Damit war, den Schöpfern des Grundgesetzes auch durchaus bewusst, der Keim für die zivilreligiöse Ãberhöhung, für die «Heiligkeit» des Grundgesetzes gesetzt. Und drittens steht diese Verfassung in der Kontinuität ihrer Vorläufer und damit in einer Tradition, in der Verfassungen schon seit dem frühen 19. Jahrhundert, gemessen an vielen anderen Ländern, zum Fixpunkt von Debatten, Erwartungen und Umbrüchen wurden: von den frühkonstitutionellen Verfassungen in Süddeutschland über die gescheiterte Verfassung der Revolution von 1848/49 bis hin zur revolutionär-republikanischen Weimarer Verfassung von 1919.
Ein britisches Modell, ganz ohne geschriebene Verfassung, hätte dieser langen Tradition jedenfalls nicht entsprochen und war in der tiefen Krise nach dem Zusammenbruch des «Dritten Reiches» ohnehin nicht möglich. In mancher Hinsicht ähnelte die Situation in Deutschland zwischen 1945 und 1949 sogar einer Revolution: Eine politische Ordnung musste bewusst geschaffen und in einen symbolisch verdichteten Text gegossen werden. Schon im Laufe des Jahres 1947 hatte sich, besonders mit dem Scheitern der Londoner AuÃenministerkonferenz im Dezember, immer deutlicher herausgestellt, dass eine Verständigung der westlichen Alliierten mit der Sowjetunion über eine einheitliche politische Zukunft Deutschlands nicht mehr möglich war. Die entscheidenden Weichenstellungen erfolgten in der ersten Jahreshälfte 1948. Die Sowjets beendeten ihre Mitarbeit im Alliierten Kontrollrat; die westlichen Alliierten beschlossen, wiederum in London, eine föderative Staatsordnung auch für Westdeutschland alleine zu schaffen. Die wirtschaftlicheIntegration der Westzonen beschleunigte sich, bis hin zur Währungsreform im Juni 1948. Die Situation in Berlin spitzte sich zu, am 24. Juni begann die Blockade West-Berlins durch die Sowjetunion. Wiederum nur wenige Tage später, am 1.Juli 1948, nahmen die westdeutschen Ministerpräsidenten von den drei alliierten Gouverneuren die «Frankfurter Dokumente» entgegen, die den Auftrag zur Verfassungsgebung und Staatsgründung enthielten. Das war der Startschuss für die Arbeit am Grundgesetz.
Aber wie sollte die Verfassung ausgearbeitet werden? Es gab keine staatliche Kontinuität (anders als 1918/19), und es sollte keine Verfassunggebende Versammlung, aus allgemeinen Wahlen gebildet, geben. So entstand das Grundgesetz nicht repräsentativ oder plebiszitär, sondern: erstens durch die Länder, zweitens durch Experten, drittens in Abstimmung â und teils bitterem Konflikt! â mit den Alliierten. Die Experten, Juristen oder staatsrechtlich beschlagene Politiker, kamen im August 1948 auf der Insel Herrenchiemsee zum Zuge, wo sie im Auftrag der elf westlichen Ministerpräsidenten einen ersten Entwurf des Grundgesetzes erarbeiteten und dabei, oft noch recht akademisch, Probleme benannten und Alternativen diskutierten. (Elf übrigens war
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