Was ist Demokratie
Hauptverdienst zu, das ihnen populär zugeschrieben wird. Wenn man der Sowjetunion überhaupt irgendein Interesse an einer Demokratisierung zubilligen will, die mehr als ein Codewort für Sowjetisierung war, verlor sie das spätestens 1947 â nicht nur für ihre Besatzungszone, sondern für ganz Mittel- und Osteuropa â aus dem Auge. Frankreich spielte als besetztes und verwundetes Land eine Sonderrolle und wollte sich â gut nachvollziehbar â überwiegend vor den Deutschen schützen. Der britische Einfluss war erheblich, gerade in Nord- und Westdeutschland, bis in Details wie die Kommunalverfassung der Länder auf dem Boden der britischen Zone hinein. Dem Gedanken einer demokratischen «Mission» folgten die Briten aber längst nicht so emphatisch wie die Amerikaner. Auch wegen ihrer wirtschaftlichen und militärischen Ãberlegenheit nahmen die USA eine Führungsrolle ein. Ein anderer Teil ihrer Stärke beruhte auf der Zuschreibung durch die Deutschen: Nach dem Scheitern des Nationalsozialismus galt der «American way of life» schnell als das groÃe kulturelle Versprechen der Zukunft, auch wenn die meisten dabei nicht zuerst an politische Freiheit und Demokratie dachten.
Auf der anderen Seite zeigt das Beispiel der entstehenden Bundesrepublik zwischen 1945 und 1949, dass ein schlichter Demokratieexport in eine postdiktatorische Gesellschaft kaum gelingen kann, wenn der Anstoà von auÃen nicht auf einen vorbereiteten Boden, auf eine zumindest proto-demokratische Kultur trifft. So wird man die Entstehung der westdeutschen Demokratie nach 1945 in vieler Hinsicht als ein komplexes Wechselspiel bezeichnen können. Demokratisierung vollzog sich als «transnationale Praxis» (Arnd Bauerkämper) â nicht nur für die ersten vier Jahre bis zur formellen Gründung der Bundesrepublik, sondern mehr noch für die beiden Jahrzehnte danach, die eigentliche formative Phase des neuen Gemeinwesens. In ihnen etablierte sich ein transatlantisches Netzwerk, an dem Organisationen und Verbände, auch zum Beispiel die Gewerkschaften, ebenso ihren Anteil hatten wie einzelne Personen mit ihren individuellen Erfahrungen. Die amerikanischen Soldaten und Besatzungsoffiziere brachten Bilder aus Deutschland in die USA, und öfters auch deutsche Partnerinnen. Deutsche, die während der NS-Zeit in die USA geflohen waren, kehrten zurück und versuchten der Bundesrepublik, als Angehörige beider Kulturen zugleich, westliche Demokratie und Lebensführung zu vermitteln.
Der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel ist dafür ein besonders gutes Beispiel. Der Jude und Sozialdemokrat konnte 1938 gerade noch Nazi-Deutschland verlassen, kehrte nach einem Zwischenspiel als US-Berater in Korea im Jahre 1951 nach Deutschland zurück und lehrte an der Freien Universität in Berlin seine pluralistische Theorie der Demokratie. Eine deutlich jüngere Generation holte sich seit den frühen 1950er Jahren ihre Bilder von demokratischer Kultur und westlicher Lebensart selber in den USA, zu einem kleineren Teil auch in GroÃbritannien, ab. Als Austauschstudenten, als Doktoranden, als Fulbright-Stipendiaten machte sich vor allem die Generation, die man heute oft als die «45er» bezeichnet â die Geburtsjahrgänge etwa zwischen 1927 und 1935 â auf den Weg in den Westen: der Soziologe Ralf Dahrendorf (geb. 1929), der Politologe Karl Dietrich Bracher (geb. 1922), der Historiker Hans-Ulrich Wehler (geb. 1931) â sie und viele andere verstanden diesen Weg als ein Lernen von Demokratie, das sie stellvertretend für eine Nation vollzogen, die sich mit der Demokratie schwer getan hatte und vielleicht immer noch tat.
3 Konsequenzen:
Demokratie im Grundgesetz
Spricht man von der deutschen Demokratie, ist der Gedanke an das Grundgesetz nicht fern. Mit dem am 23. Mai 1949 verkündeten Grundgesetz hat die Bundesrepublik eine «starke» Verfassung erhalten â das zeigte sich auch vierzig Jahre später, als die Argumente für eine neue Verfassung des wiedervereinigten Deutschlands sich nicht durchsetzen konnten. Dabei war das Grundgesetz, wie schon diese Bezeichnung deutlich machen sollte, ursprünglich als ein Provisorium gedacht, das einer damals nicht möglichen gesamtdeutschen Verfassung nicht vorgreifen, sie jedenfalls nicht erschweren sollte. Das Grundgesetz hat eine überragende Bedeutung für das Selbstverständnis der
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