Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
Vom Netzwerk:
vor allem seit dem späten 19. Jahrhundert, und besonders im Ersten Weltkrieg, deutsche Kultur gegen die verachtete Zivilisation des Westens gesetzt, die «Ideen von1914» gegen die «Ideen von 1789»; die Abgrenzung vom Westen meinte also auch eine Abgrenzung gegen die Demokratie. In der Idee vom Abendland konnten diese bildungsbürgerlichen Denkmuster behutsam fortgeführt und allmählich in die Versöhnung mit der Demokratie, also in den neuen Begriff vom Westen unter Führung der USA, transformiert werden. In der primären Abgrenzung gegen den Osten wirkte der ältere Antibolschewismus, der ja auch ein erstrangiges ideologisches Motiv des Nationalsozialismus (und von Hitler selber) gewesen war, mühelos fort; von anderen Traditionen der Arroganz gegenüber Asien und dem Orient zu schweigen.
    Als zentrales Merkmal des Westens galt seine Freiheit. Dieser zweite, dem «Westen» korrespondierende Leitbegriff stand gegen die Unfreiheit und Sklaverei des Kommunismus und aller totalitären Regime; er griff weiter aus als der Begriff der Demokratie selber, der enger auf eine politische Ordnung der Selbstregierung bezogen war. In der ideologischen Konfrontation wurde Freiheit schnell zu so etwas wie einem Codewort für das Bekenntnis zum Westen, dem der «Frieden» als Leitbegriff der kommunistischen Staaten und ihrer Unterstützer gegenüberstand. Die Berufung auf die Freiheit eignete sich zudem bestens für moralische Emphase und politisches Pathos. In diesem Horizont trat die westliche Demokratie etwa seit 1950 mit einem neuartigen Selbstbewusstsein auf, mit einer kämpferischen und bisweilen aggressiven Haltung. Das unterschied sich deutlich von den «bescheidenen» und skeptisch-relativierenden Definitionen der Demokratie, die nur kurz zuvor entwickelt worden waren und teilweise noch überlappend im Umlauf blieben. Substantiell waren die Unterschiede nicht groß, denn die «emphatische Demokratie» des Kalten Krieges zielte ganz genauso auf ein breites Fundament von Menschen- und Freiheitsrechten und auf eine politische Ordnung der repräsentativen Demokratie mit hohem Anteil der Elitenkontrolle. Aber der Gestus war ein ganz anderer: Demokratie war jetzt keine Verlegenheitslösung mehr, sondern konsistente und selbstgewisse, ja oft triumphalistische Ideologie der westlichen Moderne.
    Die aggressive Komponente richtete sich zumal während der 1950er Jahre, der eigentlichen Hochzeit des kulturellen Kalten Krieges, vor allem nach innen, auf die vermeintlichen Feinde der Freiheit und des Westens im eigenen Land. Insofern war ein scharfer, teilweise bis zur Paranoia gesteigerter Antikommunismus integraler Bestandteil der Demokratie des Kalten Krieges. In den USA speiste er sich aus älterenTraditionen, nahm Elemente des Nativismus und des weißen Rassismus, auch des Antisemitismus auf und führte die Kommunistenfurcht der ersten «Red Scare» nach dem Ersten Weltkrieg auf einen neuen Höhepunkt. Überall meinte man die Infiltration von Kommunisten, wenn nicht gar sowjetischen Spionen aufdecken und verhindern zu müssen: in Politik und Verwaltung, an den Universitäten und in der Wissenschaft, unter Schriftstellern und Kulturschaffenden. Schon 1938 hatte das Repräsentantenhaus erstmals einen Ausschuss zur Untersuchung «unamerikanischer Aktivitäten» eingesetzt, der 1947 Kommunisten in Hollywood zu enttarnen versuchte, Schauspieler und Regisseure denunzierte und de facto mit Berufsverbot belegte oder sie dazu nötigte, wie Charlie Chaplin das Land zu verlassen. 1950 begann Joseph McCarthy, ein demokratischer Senator aus Minnesota, seinen nahezu von Wahnvorstellungen getriebenen Kampf gegen Kommunisten im State Department, dem Außenministerium. Als «McCarthyism» ist sein Name zum Symbol für eine in alle Fasern der Gesellschaft reichende Mentalität und Praxis der Verdächtigung von abweichender Meinung geworden. Universitäten überprüften ihre Professoren oder weigerten sich, vermeintliche Kommunisten einzustellen. Die Freiheit, in deren Namen das alles geschehen sollte, nahm dabei beträchtlichen Schaden; erst Ende der 1950er Jahre schlug das Klima wieder in eine liberalere Richtung um, als die Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen um Martin Luther King und andere Aufmerksamkeit und Sympathisanten fand. Innerhalb Europas spielte der Antikommunismus wohl in der Bundesrepublik, aus leicht

Weitere Kostenlose Bücher