Was ist Demokratie
nachvollziehbaren Gründen, die gröÃte Rolle. Das Verbot der moskautreuen KPD im Jahre 1956 bildete dabei letztlich eher einen Nebenaspekt; einflussreicher war ein diffuseres Unbehagen gegenüber Linken und Sozialisten, das in dem CDU-Wahlplakat von 1953 einen weithin bekannten Ausdruck fand: «Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau!»
Es wäre jedoch verkürzt, die demokratische Ideologie des Kalten Krieges auf diese Formen von politischem Kampf und Demagogie zu verkürzen. Vielmehr stöÃt man bei genauerem Hinsehen auf ein komplexes Geflecht von Personen, Institutionen und politischen Programmen sehr unterschiedlicher, oftmals auch «linker» Provenienz â und auf ernsthaftes, intellektuell tiefgründiges Suchen nach den Bedingungen von individueller Freiheit und sozialer Wohlfahrt. Aus Nazi-Deutschland emigrierte jüdische Sozialwissenschaftler und Philosophen wie Herbert Marcuse, später ein Held der transatlantischen Studentenbewegung,arbeiteten schon vor 1945 bereitwillig mit amerikanischen Regierungsstellen, besonders mit dem «Office of Strategic Services» (OSS) zusammen, dem geheimdienstlichen Vorläufer der CIA. Sie waren als Experten für den Feind gefragt, der zuerst Deutschland hieà und dann immer mehr Sowjetrussland; hier kam zusätzlich ihre Kompetenz als Kenner des Marxismus und Kommunismus ins Spiel, von dem die Amerikaner zu verstehen hofften, wie sein Weltbild «tickte». Der dritte Pol in einem weiten Netzwerk der Forschung und Aufklärung im Kalten Krieg waren groÃe private Stiftungen wie die Rockefeller Foundation, welche die Sowjetforschung finanzierten und dabei zugleich der Entfaltung linksliberaler, ja neomarxistischer Ideen erstaunlich viel Freiraum boten.
Den europäischen Emigranten traten amerikanische Intellektuelle zur Seite wie Irving Howe, Nathan Glazer oder Irving Kristol. Mit ihren Artikeln in liberalen Magazinen wie der «Partisan Review» oder der «New Republic» formulierten sie eine Gegenposition gegen den Kommunismus, bezogen sich dabei aber auf liberale Traditionen wie den New Deal. Das schloss das Bekenntnis zu einem aktiven Staat â im Sinne einer keynesianischen Wirtschaftspolitik und wohlfahrtsstaatlichen Engagements â durchaus mit ein. Wieder andere Intellektuelle waren in den 1930er oder frühen 40er Jahren selber überzeugte Kommunisten gewesen, bis hin zur Unterstützung der stalinistischen Sowjetunion, und präsentierten sich um 1950 als Bekehrte zur liberalen Demokratie und gegen jeden Totalitarismus. Ihr «Gott» war gescheitert, wie Arthur Koestler, Ignazio Silone, André Gide und andere 1949 in einer gemeinsamen Publikation bekenntnishaft darlegten. Und schlieÃlich gab es in diesem transatlantischen Demokratiediskurs des Kalten Krieges auch jene, die seit jeher eine klassisch-liberale Position einnahmen und den «Versuchungen der Unfreiheit» (Ralf Dahrendorf), gleich ob von der extremen Rechten oder der extremen Linken, über die Jahrzehnte hinweg widerstanden. Der französische Soziologe Raymond Aron hieb 1955 mit seinem «Opium der Intellektuellen» in dieselbe Kerbe wie die Konvertiten um Koestler; noch 1965, als diese Schlacht längst geschlagen schien und neue Bewegungen die Debatten prägten, stellte er in einem Buch «Demokratie und Totalitarismus» programmatisch einander gegenüber.
Als ein besonders effektives Instrument westlicher Demokratie- und Freiheitskonzepte im Kalten Krieg erwies sich der «Kongress für kulturelle Freiheit». Sein Spiritus Rector war der amerikanische PublizistMelvin J. Lasky, der 1944 mit den US-Truppen nach Europa gekommen war und 1948 die Zeitschrift «Der Monat» gegründet hatte. Ende Juni organisierte Lasky in Berlin den «Kongress für kulturelle Freiheit», ein Stelldichein überwiegend linksliberaler, aber dezidiert antistalinistischer Schriftsteller, Wissenschaftler und Politiker. Ernst Reuter eröffnete als Oberbürgermeister den Kongress im Steglitzer Kino «Titania-Palast». Mit viel moralischer Emphase war dabei immer wieder von einer Kampf- und Entscheidungssituation für die Freiheit die Rede â aber für viele Redner, unter ihnen Ernst Reuter als Verfolgter des NS-Regimes, war das nicht hohle Phrase, sondern Teil der Lebensgeschichte. Als Organisation und Netzwerk wirkte der «Kongress für kulturelle Freiheit» weiter, bis 1967 seine
Weitere Kostenlose Bücher