Was ist Demokratie
aber zwangsläufig in den Wettstreit der demokratischen Parteien ein.
Der Erfolg zunächst der westdeutschen Grünen, dann seit 1993 von «Bündnis 90/Die Grünen» war zugleich ein Beleg für die Innovationsfähigkeit eines zeitweise erstarrt erscheinenden Parteiensystems. Wenngleich der politische Erfolg der deutschen Grünen, mit dem Höhepunkt der Regierungsbeteiligung in der «Rot-Grünen Koalition» im Bund von 1998 bis 2005, im internationalen Vergleich singulär ist, strahlte diese deutsche «Erfindung» doch breit auf andere Länder aus. So sind die vier Grundprinzipien des Parteiprogramms von 1980 allgemein als die «four pillars», die vier Säulen grüner Parteien und Bewegungen bekannt. In einem weiteren Sinne markiert ohnehin nicht primär der Aufstieg der grünen Partei die tiefe Zäsur westlicher Demokratien in den 1970er Jahren, sondern die Etablierung neuer politischer Stile und Handlungsmuster, die als «Demokratie von unten» neben die repräsentative Demokratie traten. Die sie tragenden Parteien, auch andere Formen der festgefügten Organisationsdemokratie wie Gewerkschaften, Verbände, Vereine verloren Bedeutung und oft auch Mitglieder; Engagement und Partizipation verlagerten sich an andere Stellen. Darin liegt die Bedeutung der modernen sozialen Bewegungen für die Demokratie.
VIII Erweiterungen
Demokratie ist erfinderisch. Seit den 1970er Jahren haben nicht nur viele Länder demokratische Freiheiten neu gewonnen, in einer «dritten Welle» der globalen Erweiterung im 20. Jahrhundert, die auch Ostmitteleuropa und die damalige DDR erfasste. Vor allem hat sich das innere Getriebe demokratischer Politik und Gesellschaft nachhaltig verändert. Aus der klassischen Demokratie der Parteien, Wahlen und Parlamente im nationalen Staat ist eine vielgestaltige «postklassische» Demokratie geworden. Sie überschreitet die alten politischen Grenzen und wird europäisch; oft lässt sie sogar jegliche territoriale Begrenzung hinter sich. Bürgerinnen und Bürger erheben die Stimme nicht nur am Wahltag, sondern holen die Demokratie in die Zivilgesellschaft. Sie sprechen nicht nur für sich, im liberalen Eigeninteresse, sondern machen sich zu Anwälten für Schwache und Sprachlose. Sie diskutieren und nutzen digitale Technologien, um sich auf neuen demokratischen Plattformen zu vernetzen. Liberale Freiheitsrechte, Wahlen und Parlament sind damit nicht überflüssig geworden. Aber solche Erweiterung ist längst mehr als ein Experimentierfeld. Sie hat sich in die Geschichte der Demokratie eingeschrieben.
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1 Zivilgesellschaft in Ost und West
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt weithin als Zeit der Ankunft in der Demokratie. Das westliche Modell der liberal-parlamentarischen Regierung mit Marktwirtschaft und Sozialstaat etablierte sich â trotz und zugleich wegen des sowjetisch-kommunistischen Gegenentwurfs â weithin als ein normatives Ideal, vor allem für die europäischen Gesellschaften. Wer den Anschluss daran nicht schon unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg geschafft hatte wie die Bundesrepublik, dem gelang das mit Verzögerung in den 1970er Jahren wie Griechenland, Portugal und Spanien, oder am Ende der 80er Jahre, als in Mittel- und Osteuropa die realsozialistischen Diktaturen zusammenbrachen. InDeutschland war diese Sichtweise, aus verständlichen Gründen, besonders verbreitet. Nach dem Scheitern der Weimarer Republik und dem tiefen «Zivilisationsbruch» (Dan Diner) von Nationalsozialismus und Holocaust schien in der westlichen Demokratie ein sicherer Hafen gefunden. Gewiss, mit der Verkündung des Grundgesetzes war die Demokratie noch nicht erwachsen; es dauerte gut zwei Jahrzehnte, bis die inneren Ãberzeugungen mit den Institutionen vollends Schritt hielten. Nach weiteren zwanzig Jahren gelang es mit Friedlicher Revolution und Wiedervereinigung auch den Ostdeutschen, an dieser Demokratie teilzuhaben. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte war Demokratie gefährdet und musste gegen innere und äuÃere Feinde verteidigt werden.
Dieses Bild ist nicht falsch, aber mit dem wachsenden Abstand von 1945, und inzwischen auch schon von 1989, vermag es die Dynamik der Demokratie im späteren 20. Jahrhundert nicht mehr einzufangen. Denn es unterstellt, die moderne westliche Demokratie sei ein festes, nahezu unwandelbares Set von Regeln und
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