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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Nicht selten ist Zivilgesellschaft geradezu identisch mit der Vorstellung von einer partizipatorischen Demokratie, welche die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar, kontinuierlich und jenseits politischer Wahlen aktiv werden lässt.
    Wie die Befürworter einer Zivilgesellschaft zumal in Deutschland schon früh klarstellten, war der Begriff keineswegs neu; vielmehr griff er eine sehr alte Tradition auf und prägte sie für die Verhältnisse des späten 20. Jahrhunderts neu. Bis in die Antike führt die lateinische «societas civilis» zurück, doch war damit in der politisch-sozialen Theorie der Frühen Neuzeit gerade der politische Raum der menschlichen Vergemeinschaftung angesprochen, nicht ein autonomes Gegenüber zur Politik bzw. zur Staatsordnung. Der alten griechischen Unterscheidung folgend, ging es also um den Bereich der «Polis» im Unterschied zum «Oikos», dem Bereich des Haushaltens, Wirtschaftens und familiären Zusammenlebens. Um 1800 wandelte sich die Bedeutung grundlegend, und besonders angesichts eines starken monarchisch-bürokratischen Staates in Deutschland meinte die «bürgerliche Gesellschaft» nun den staatsfreien Raum der liberalen Vergesellschaftung, nicht zuletzt auch der gewerblich-kapitalistischen Ökonomie. In diesem Sinne sprach Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1821 in seiner Rechtsphilosophie von dem «System der Bedürfnisse», und für den Linkshegelianer Karl Marx stand die bürgerliche Gesellschaft für den kapitalistischen Produktions- und Klassenzusammenhang. Die Mehrdeutigkeit des deutschen Wortes «Bürger»: zwischen Staatsbürger und Wirtschaftsbürger, zwischen universellem, freien politischen Akteur und dem Angehörigen einer höheren sozialen Klasse, trug schließlich auch dazu bei, den englischen Begriff «Civil Society» nicht als bürgerliche Gesellschaft, sondern als Zivilgesellschaft zu übersetzen. Daneben hat sich aber auch die «Bürgergesellschaft» begrifflich etabliert; dabei liegt der Akzent etwas mehr auf dem Ideal des für das Gemeinwohl tätigen Einzelnen, während die «Zivilgesellschaft» eher einen abstrakteren Bereich der nichtstaatlichen Selbstorganisation beschreibt. In ihr klingen auch utopische Dimensionen an: die Vision einer freien und friedlichen Gesellschaft und mehr horizontaler als hierarchischer Verfahren in der Politik.
    Diese Projektion in die Zukunft gewann in Mittel- und Osteuropa während der 1980er Jahre eine ganz konkrete Gestalt, als Intellektuelle und Dissidenten mit der Zivilgesellschaft ihr Gegenmodell zu Entmündigungund Unfreiheit im autoritär-bürokratischen Realsozialismus entwarfen. Vor allem polnische Oppositionelle im Umfeld der «Solidarność», führend unter ihnen etwa Bronisław Geremek und Adam Michnik, beklagten die Abhängigkeit einer vom kommunistisch-autoritären Staat geführten und durchorganisierten Gesellschaft. Zivilgesellschaft bedeute, so sagte Adam Michnik im Februar 1988 in einem Interview, dass die Gesellschaft sich selber entlang ihrer Konflikte, Partikularinteressen und unterschiedlichen Standpunkte organisieren und artikulieren könne. Damit war ein sehr prinzipieller Punkt gemeint, der einen liberalen Pluralismus einklagte: Der Staat darf die Verschiedenheit von Interessen und Überzeugungen nicht mit einem vermeintlich übergeordneten Gemeinwohl ersticken; Konflikte müssen von den Bürgerinnen und Bürgern frei ausgetragen werden können. Es ging aber zugleich um neuartige Probleme, die zu bearbeiten auch im Westen erst unter Druck «von unten» möglich war; dabei verwies Michnik auf ökologische Probleme, auf die verheerende Umweltverschmutzung in Polen. Und drittens bedeutete Zivilgesellschaft, die Dinge beim Namen nennen, in der Öffentlichkeit frei und wahrhaftig sprechen zu können. Das war angesichts von Zensur und Diktatur eine höchst konkrete Forderung, nahm aber zugleich die allgemeinere Suche nach Authentizität und Expressivität auf, die den Protest westlicher Demokratien seit den 1960er Jahren grundierte.
    Die polnische Debatte über die Zivilgesellschaft war mit dem Erfolg der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność eng verknüpft, einem höchst konkreten Muster der freien Selbstorganisation gegenüber dem autoritären Staat. Auch das Verbot der Solidarność in General Jaruzelskis Kriegsrechtsregime

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