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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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marktkapitalistischen Prinzipien; patriarchalische Familienbeziehungen und vertikale Abhängigkeitsverhältnisse prägten die soziale Welt; die Sklaverei war ein selbstverständlicher Bestandteil der gesellschaftlichen Ordnung; Frauen konnten in Politik und Öffentlichkeit keine Rolle spielen.
    Ebenso fehlten entscheidende kulturelle Voraussetzungen der modernen Demokratie: das Bewusstsein von der Gestaltbarkeit menschlichen Zusammenlebens in Richtung auf «Fortschritt», oder die Wertschätzung des Individuums mit seinen unveräußerlichen Menschen- und Freiheitsrechten. Nicht zuletzt verfügte die Antike noch lange nicht über die technologischen Mittel, die in einem weiteren Sinne die Praxis der modernen Demokratie erst möglich gemacht haben: Verkehrsmittel, mit denen sich große Distanzen schnell überbrücken lassen; Massenmedien, vom Buch- und Zeitungsdruck bis zum Internet, die Information und Öffentlichkeit schnell auch an weiter entfernte Orte bringen können. Stattdessen sehen wir Athen und Rom eher in einem Zusammenhang mit ihren zeitlichen und räumlichen Nachbarn, als Varianten vielfältiger früher Hochkulturen im Gebiet des östlichen und zentralen Mittelmeers, Nordafrikas und Vorderasiens. Dazu haben archäologische Forschungsergebnisse jenseits der «klassischen» Grabungsstätten ebenso beigetragen wie das neue Interesse an jener Kulturregion, in der sich Jahrhunderte später der Islam ausgebreitet hat.
    Erst recht führt keine gerade, ungebrochene Entwicklungslinie von den politischen Verfassungen Griechenlands und Roms zur modernen Neubegründung von Republiken und Demokratien seit dem späten 18. Jahrhundert. Im Gegenteil, sie gerieten nach der Auflösung des Weströmischen Reiches (476 n. Chr.) weithin in Vergessenheit. Als sich der Frankenkönig Karl der Große im Jahre 800 in Rom zum Kaiser krönen ließ, begann ein komplizierter Transfer antiker Vorstellungen nach Westeuropa. Er stützte sich jedoch nicht auf die Erinnerung an die römische Republik, geschweige denn die athenische Demokratie. Vielmehr bildete die Reichsidee des Imperium Romanum das entscheidende Bindeglied – man stilisierte das später zu einer «translatio imperii», einer Übertragung des Reiches, auf die sich seit dem Spätmittelalter auch die Bezeichnung «Heiliges Römisches Reich» stützte. Ein zweites Bindeglied bildete der universalistische Anspruch des Christentums, das im frühen Mittelalter von seinen römischen bzw. westasiatischen Ursprüngen nach West- und Mitteleuropa ausgriff.
    Die demokratisch-republikanische Vorstellungswelt eroberte sich nur ganz langsam zwischen dem 13. und dem 17.Jahrhundert ihren Platz zurück. Dabei spielte die Wiederentdeckung und Kanonisierung der Schriften des Aristoteles eine wichtige Rolle. Der griechische Universalgelehrte stieg im 13. Jahrhundert zum wichtigsten intellektuellen Orientierungspunkt an den westlichen Universitäten wie Paris und Oxfordauf. Im Mittelpunkt stand jedoch seine Logik, seine Philosophie und Naturwissenschaft, nicht die Politik. Erst recht konnte man aus Aristoteles’ Schriften keine neue Legitimation der Demokratie ableiten, zu deren Kritikern der große Philosoph ja gehört hatte. Erst die Wiedergeburt der Antike in Renaissance und Humanismus führte die antike politische Theorie in ein breiteres europäisches Bewusstsein ein und gab ihr eine praktische – wir würden heute auch sagen: eine zeitkritische – Wendung. In Italien verfasste Niccolò Machiavelli mit dem «Fürsten»
(Il Principe)
am Anfang des 16.Jahrhunderts sein bis heute vielzitiertes Standardwerk über den starken Herrscher im werdenden modernen Staat, aber sein politisches Ideal war die städtische Republik, wie er sie in seiner Heimatstadt Florenz durch die Herrschaft der Medici bedroht sah. Etwas später verfasste er sein zweites Hauptwerk, das sich schon im Titel an römische Geschichtsschreibung und römisches Politikverständnis anlehnte: die «Abhandlungen über die ersten zehn Bücher des Titus Livius». In ihnen diskutierte er die Vorzüge einer republikanischen Verfassung und die Notwendigkeit bürgerlicher Aktivität und Tugend, um die instabile Republik vor dem Umschlag in eine Despotie zu bewahren. Diese «Discorsi» etablierten sich als ein Grundbuch des frühen Republikanismus mit großer

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