Was ist Demokratie
obwohl sie bereits die Keimzelle der späteren EU-Verfassung und einer klassischen Gewaltenteilung enthielten: eine interministerielle Exekutive, einen Gerichtshof und das Europäische Parlament, das aus der «Gemeinsamen Versammlung» der Montanunion von 1952 hervorging, aber weiterhin von den nationalen Parlamenten beschickt wurde. Als das StraÃburger Parlament im Juni 1979 zum ersten Mal in den damals neun Mitgliedstaaten direkt gewählt wurde â 1973 waren GroÃbritannien, Irland und Dänemark beigetreten â, änderte das an der geringen Machtausstattung der europäischen Volksvertretung wenig. Die symbolische Bedeutung dieses Ãbergangs war jedoch erheblich. Eine volle demokratische Verfassung der Europäischen Gemeinschaft konnte erst jetzt als konkreter politischer Erwartungshorizont entstehen, gerade weil der Abstand zum klassischen Parlamentarismus krass ins Auge fiel: vor allem im Fehlen des Budgetrechts und einer dem Parlament verantwortlichen Exekutive. Aber erst am Ende der 1980er Jahre, beschleunigt durch den Fall des Kommunismus und die deutsche Wiedervereinigung, gewann die politische Integration eine neue Qualität. Mit dem Vertrag von Maastricht entstand 1992 die «Europäische Union», zunächst als ein Dach über den verschiedenen «Säulen» der Zusammenarbeit, deren wichtigste die Europäischen Gemeinschaften waren. Inden nächsten zehn Jahren begannen die Bürgerinnen und Bürger das Zusammenwachsen wie nie zuvor auch im Alltag zu spüren: Im «Schengen-Raum» entfielen 1995 die Grenzkontrollen; parallel dazu entstand in mehreren Schritten die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, die mit der Einführung des «Euro» als gemeinsamer Währung 2002 ihren vorläufigen Höhepunkt fand.
Grenzenloses Reisen ohne Geldumtausch förderte ein Gefühl der europäischen Zusammengehörigkeit, aber die primäre Motivation dahinter blieb die Sicherung des Friedens und der Prosperität, nicht die Förderung von Demokratie. Debatten über die Reform der politischen Organe der EU kreisten häufig eher um das Problem effektiver Entscheidungsfindung, zumal angesichts der Osterweiterung um sieben Staaten vom Baltikum über Polen bis Ungarn im Jahre 2004. Dennoch trat die Frage nach der europäischen Demokratie seit den späten 90er Jahren vermehrt ins Bewusstsein. Die politischen Eliten sahen darin den nächsten groÃen Schritt der Integration, während eine kritische Ãffentlichkeit das «Demokratiedefizit» der Europäischen Union bemängelte, das angesichts wachsender Kompetenzen und sichtbarer Alltagsmacht von «Brüssel» umso mehr ins Auge fiel. Damit überschnitt sich, zumal nach dem 11. September 2001, eine Debatte über die kulturelle Identität Europas in der Spannung zu Amerika einerseits, dem arabisch-islamisch geprägten Raum andererseits. Der gemeinsame Fluchtpunkt war die im Oktober 2004 in Rom unterzeichnete Europäische Verfassung, genauer: der «Vertrag über eine Verfassung für Europa». Schon in dieser Bezeichnung kam die Unmöglichkeit zum Ausdruck, die Europäische Union als ein souveränes Völkerrechtssubjekt mit einer demokratischen Verfassung auszustatten und sie auf den Boden der Souveränität eines europäischen Volkes zu stellen. Trotz dieser Grenzen scheiterte die Einführung des Vertrages, kurz nachdem das deutsche Parlament seine Zustimmung gegeben hatte, im Frühsommer 2005 an der Ablehnung in den Referenden Frankreichs und der Niederlande. An seiner Stelle trat am 1. Dezember 2009 der Vertrag von Lissabon als neue Rechtsgrundlage der Europäischen Union in Kraft.
Wie schon seine Vorläufer seit Maastricht 1992 stärkte der Lissabon-Vertrag die «Verfassungsorgane» der Union im Sinne der klassischen Demokratietheorie: in der Stärkung des Parlaments gegenüber Kommission und Ministerrat; zugleich mit dem Versuch der Stärkung einer europäischen Exekutive in dem Amt eines Präsidenten des Europäischen Rates und eines «Hohen Vertreters» der EU für die AuÃenundSicherheitspolitik. Aber von einer nationalstaatlichen Demokratie bleibt das institutionelle Gefüge der Europäischen Union auch nach dem Vertrag von Lissabon weit entfernt. Das Prinzip der Gewaltenteilung verschwimmt besonders in der Europäischen Kommission, die mit ihren 27 Kommissaren unter
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