Was ist Demokratie
Gerechtigkeit, Demokratie, Frieden sowie Schutz und Bewahrung der Natur» orientieren sollte. Demokratie verstand das Neue Forum nicht so sehr als das Ziel einer institutionellen Ordnung, sondern als einen Prozess der Verständigung. Die Unterzeichner um Bärbel Bohley, Katja Havemann und Jens Reich sprachen von einem «demokratischen Dialog» und beklagten die gestörte Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft. Ganz offen bekannten sie sich zur Unsicherheit im Blick auf die westlichen Verhältnisse: bessere Versorgung mit Waren â aber kein ungehemmtes Wachstum; freie Individuen und Raum für wirtschaftliche Initiative â aber keine «Ellenbogengesellschaft». Die Sozialdemokratische Partei der DDR (SDP) ging wenige Tage später deutlich weiter. Schon ihre Gründung implizierte ein Mehrparteiensystem und die Forderung nach freien Wahlen, wo das Neue Forum nur eine übergreifende Plattform der Diskussion sein wollte. Institutionelle Grundlagen einer Demokratie wie Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Parlamentarismus oder auch freie Gewerkschaften waren von Anfang an klar benannt. Und die gesamte Programmatik der jungen Partei stand unter der Ãberschrift einer «grundlegenden Demokratisierung unseres Landes».
Die Forderung nach Demokratie in der Bürgerbewegung der DDR erweist sich also als vielschichtig, aber man muss sie nicht lange suchen â der Begriff war zentral und fand oft sogar Eingang in die Namensgebung. Der «Demokratische Aufbruch» (DA) entstammte demselbenlinks-alternativen, intellektuellen und kirchlichen Milieu wie das Neue Forum und eine Vielzahl anderer Gruppen, verabschiedete sich aber Ende 1989 schon deutlich von dem prozesshaften Demokratiebegriff und dem Bekenntnis zu einer Reform des Sozialismus; stattdessen konstituierte der DA sich als Partei und bekannte sich frühzeitig zur deutschen Einheit; für die Volkskammerwahlen am 18. März 1990 schloss er sich der CDU-geführten «Allianz für Deutschland» an. Die Bewegung «Demokratie Jetzt» ähnelte in ihrem Selbstverständnis eher dem Neuen Forum, von der Ausgangsdiagnose eines «inneren Unfriedens» in der DDR bis zur Betonung einer solidarischen und ökologischen Gesellschaft, die sich von der Realität der Bundesrepublik unterscheiden sollte. Das programmatische Leitwort war aber auch hier die Demokratie, nicht nur im unmissverständlichen eigenen Namen.
Man hat oft darauf hingewiesen, die Bürgerbewegung der DDR im Herbst 1989 habe eine Reform des Sozialismus in der DDR eher angestrebt als eine Ãbernahme der westdeutschen Verfassungs- und Gesellschaftsordnung. Das ist aber mindestens missverständlich. Alle Gruppen «teilten die grundsätzliche Gegnerschaft zum SED-Regime und die Forderung nach einem fundamentalen Systemwandel». Sie kritisierten die Bundesrepublik also eher so, wie es auch die westdeutschen Protestbewegungen taten: mit radikaldemokratischer Emphase, sicher auch einem Stück Antikapitalismus, und mit dem historisch gewachsenen Bewusstsein einer eigenen DDR-Identität, jedenfalls bis Anfang 1990. Schon ihre frühen ÃuÃerungen lassen keinen Zweifel daran, dass es für sie keine Alternative zu den Säulen der westlichen Demokratie gab: mit individueller Freiheit und Grundrechten, aber auch mit politischem Pluralismus, freien Wahlen, Parlament; und gewiss ohne die «führende Rolle» der SED und ihre Verquickung mit dem Staat.
Und vor allen programmatischen Zielen formierte sich vom Herbst 1989 bis ins Frühjahr 1990 Demokratie als Prozess â als ein vielgestaltiger revolutionärer Prozess. Die zivilgesellschaftliche Selbstorganisation von Bürgerinnen und Bürgern, über die engen und klandestinen Oppositionszirkel hinaus, war ein wichtiger Teil davon, auch wenn sie nicht die Massen, geschweige denn die Mehrheit der Bevölkerung erfasste: anders als im Polen der SolidarnoÅÄ, aber nicht untypisch im historischen Vergleich. Trotz mancher Vorbehalte mündete sie schnell in die Formierung politischer Parteien als Ausdruck des Wunsches nach Teilhabe an der Regierung. Manche Initiativen starteten sofort als politische Partei, wie die SDP, andere versuchten bis weit indas Jahr 1990 hinein, gesellschaftliche Opposition gegenüber dem Staat zu bleiben, und damit «Bewegung» statt «Partei». Darin spiegelte sich, erneut in west-östlicher Ãberlagerung, die
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