Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
Vom Netzwerk:
Dynamik, mit dem Aufstieg von Zivilgesellschaft und partizipatorischer Demokratie. Gibt es vielleicht sogar einen inneren Zusammenhang zwischen der gleichzeitigen Konjunktur vonKapitalismus und Demokratie seit 1980? Oder ist die Demokratie der neuen Bürgerproteste, gerade im Gegenteil, die Reaktion auf den Sog einer Marktlogik, gegen den sich die Autonomie einer demokratischen Gesellschaft zu behaupten versucht?
    Diese Frage ist nicht neu, sondern lässt sich als Grundproblem des Verhältnisses von Demokratie und Kapitalismus viele Jahrhunderte zurückverfolgen. Seit dem Aufstieg der politischen Theorie des Liberalismus und den Anfängen einer kommerziell-kapitalistischen Marktgesellschaft, also besonders seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, gibt es die antagonistische Symbiose von beiden, und zwar nicht nur in der Ideenwelt von Wirtschaftstheorie und politischer Philosophie, sondern ganz manifest in sozialen Konflikten, Protestbewegungen und Politik. Aus der ungefähren Gleichzeitigkeit lässt sich zunächst auf einen engen inneren Zusammenhang schließen. Liberale Demokratie und kapitalistische Marktgesellschaft folgen demnach denselben Prinzipien und wenden sie auf die Politik ebenso wie auf die Wirtschaft an. Die positive Variante dieser These ist ein Fundament des klassischen liberalen Denkens seit dem 17. Jahrhundert überhaupt und verbindet sich häufig mit dem Namen des englischen Philosophen John Locke. Der (männliche) Mensch ist für Locke von Natur aus frei und unabhängig. Zu dieser Freiheit gehört das private Eigentum, worunter man sich zu Lockes Zeiten, als Kolonialismus und Fernhandel blühten, durchaus schon beträchtliche Reichtümer vorstellen konnte. Aber das Leitbild war eher der kleine Selbstständige, der Bauer mit seinem Grundbesitz, der Kleinhändler oder Handwerker. Um Freiheit und Eigentum zu sichern, errichteten die Menschen den Staat.
    Marktwirtschaft und Liberalismus: Beide wenden sich gegen die feudale und ständische Gesellschaft, gegen die korporatistische Einbindung der Menschen in allen Lebensbereichen und setzen dagegen das Individuum mit seiner Freiheit des Handelns in allen Sphären des Lebens. Individuelle Autonomie richtet sich gegen Regulierung und Gängelung, damit ein Stück weit auch gegen den Staat. Dieser Impuls ist in den angelsächsischen Gesellschaften bis heute spürbar, mehr als in Kontinentaleuropa und Skandinavien. Das Leben soll sich nicht in vorgegebenen Bindungen vollziehen, nicht von außen bestimmt sein, sondern von den inneren Wünschen, Überzeugungen und Interessen. Von «Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück» sprach 1776 die amerikanische Unabhängigkeitserklärung. Eigene Interessen verfolgen zu können, das ist ein wichtiges Bindeglied zwischen der klassischen Konzeptionder Marktgesellschaft und derjenigen einer pluralistischen, wettbewerblichen Demokratie. Damit verwandt ist das Leistungsprinzip als Gedanke einer «meritokratischen» Gesellschaft der eigenen Verdienste statt der angeborenen Vorteile und Positionen. Konflikte sollen in beiden Systemen nicht durch gewaltsamen Konflikt, sondern durch Kooperation, Verhandlung und Vertrag gelöst werden. Sogar eine fundamentale Egalität gehört dazu: Auf dem Marktplatz, dem ökonomischen und politischen, sind alle Teilnehmer gleich; der Preis einer Ware entscheidet sich nicht nach Ansehen der Person. Insofern ist der «Marktplatz» nicht zufällig eine zentrale Metapher sowohl des Kapitalismus als auch der unmittelbaren Demokratie bis heute.
    Natürlich ist das ein erheblich idealisiertes Bild, von der die Realität des Kapitalismus oft ebenso weit entfernt war wie die der Demokratie. Auf der anderen Seite lässt sich die so beschriebene Wahlverwandtschaft von beiden in konkreten historischen Konstellationen immer wieder aufzeigen, vom Kampf gegen den Feudalismus, für wirtschaftliche und politische Freiheit in der Französischen Revolution über den klassischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts bis in die jüngste Geschichte Polens, Ungarns oder Tschechiens. Auch eine sehr kritische Sicht auf den Kapitalismus muss sich der schwer widerlegbaren These stellen: Pluralistische Demokratie in freier Gesellschaft hat es bisher überhaupt nur in überwiegend marktkapitalistisch verfassten Ländern gegeben, und nie in Ländern ohne eine fundamental marktwirtschaftliche Ordnung. Noch

Weitere Kostenlose Bücher