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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Länder. Die Suche aber geht weiter.

IX Spannungslinien
    Demokratie ist nie eindeutig, und immer umstritten. Ihre Ideale treffen auf eine komplizierte Wirklichkeit; statt strahlendem Glanz sieht man dann dunkle Schatten. Demokratische Verfassung hat es auch nie vermocht, sich andere mächtige Realitäten der modernen Welt zu unterwerfen oder sie in ihrem Namen zu zähmen: Sie hat vom Kapitalismus profitiert und steht zugleich im scharfen Konflikt mit ihm; sie hat soziale Ungleichheit abgemildert, aber nicht beseitigt; sie hat eine friedliche Welt nicht geschaffen und ist sogar selber fähig zur Gewalt. Umstritten ist nicht zuletzt der globale Anspruch von Demokratie. Bleibt sie ein westliches Produkt auf dem Boden der europäisch-nordamerikanischen Zivilisation, oder ist sie ein universelles Prinzip, das sich auch andere Regionen, Kulturen, Religionen aneignen können? Während um die äußeren Grenzen demokratischer Systeme gestritten wird, sind die westlichen Gesellschaften am Beginn des 21. Jahrhunderts selber zerrissen zwischen dem neuen Elan zivilgesellschaftlicher Demokratie und düsteren Prognosen über ein Ende des demokratischen Zeitalters. Aus welchen Gründen sollten wir überhaupt an der Demokratie festhalten? So bleibt ihre Zukunft offen.
    Â 
1 Miteinander und Gegeneinander:
Markt und Kapitalismus
    Im späten 20. Jahrhundert ist der Kapitalismus in eine neue Phase seiner langen Geschichte eingetreten. In der Globalisierung erobert er alle Regionen der Erde und setzt sich über kulturelle Schranken und nationalstaatliche Grenzen hinweg. Investitions- und Konsumgüter zirkulieren zwischen den Kontinenten, aber das Zentrum des Kapitalismus scheint nicht mehr in der produzierenden Wirtschaft zu liegen, sondern in einer rasant expandierten Finanzökonomie, im Handel mit Kapital und Schulden – und mit deren Derivaten, also sekundären Finanzprodukten, die den Kapitalismus immer mehr in ein Börsenspiel der Spekulationund der Bereicherung Weniger auf Kosten der Mehrheit verwandeln. Staaten und andere politische Akteure stoßen an die Grenzen ihrer Steuerungsfähigkeit, wenn sie sich nicht schon längst freiwillig zurückgezogen haben. Denn seit dem Ende der 1970er Jahre ist die Epoche des Keynesianismus in der westlichen Welt ausgelaufen und hat einer neoliberalen Orientierung Platz gemacht. An die Stelle nationalstaatlicher Regulierung und Intervention ist die Freiheit von Märkten getreten; insgesamt hat sich ein mehr individualistisches Menschenbild durchgesetzt. Soziale Ungleichheit nimmt in den westlichen Gesellschaften zu. Zu Beginn des 21.Jahrhunderts und spätestens mit der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 hat sich der Eindruck verstärkt, dass der neue Kapitalismus der Demokratie schadet, indem er Freiheit, Gleichheit und individuelle Autonomie bedroht. Demokratische Politik vermag den Kapitalismus nicht mehr zu bändigen, sondern wird von ihm an die Wand gedrückt.
    So bezeichnet das Verhältnis zum Kapitalismus gegenwärtig eine der schärfsten Spannungslinien für die Entwicklung von Demokratie. Bei genauerem Hinsehen ist die Lage jedoch kompliziert. Zunehmender Ungleichheit in Nordamerika und Westeuropa steht marktgetriebenes Wohlstandswachstum in Teilen der ehemaligen «Dritten Welt» gegenüber, etwa in Brasilien, Indien oder China, wo Hunderte Millionen Menschen in die Mittelklassen aufgestiegen sind. Auch innerhalb Europas hat sich das Wohlstandsgefälle vermindert, zwischen Nord und Süd und erst recht zwischen West und Ost nach dem Übergang der kommunistischen Länder zu Demokratie – und Marktwirtschaft. Von «neoliberaler» Deregulierung auf vielen Märkten haben die Bürgerinnen und Bürger als Konsumenten oft profitiert. Politische Akteure wie die Europäische Kommission sind mächtige Treiber von freiem Marktzugang und Konsumentenschutz zugleich. Dem Abbau «klassischer» Regulierung und staatlichen Engagements in der Wirtschaft stehen neue Formen der Intervention und Regulierung gegenüber, zum Teil unter ökologischem Vorzeichen wie beim Emissionshandel. Und in doppelter Weise ist Demokratie im Zeichen des neoliberalen und globalen Kapitalismus während der letzten drei Jahrzehnte nicht verkümmert, sondern expandiert: zum einen mit der Ausbreitung demokratischer Regierungsformen auf Kosten autoritärer Regime und Diktaturen, zum anderen mit einer inneren

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