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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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verfügte nur über lose Strukturen, vor allem in der «Tagsatzung», einer jährlichen Versammlung von Vertretern der Kantone. So entwickelten sich die Gemeinden und Gemeindebünde selber zu kleinen Republiken, die jedoch untereinander verbündet waren anstatt – wie die italienischen Stadtrepubliken, etwa Florenz und Siena – gegeneinander Krieg zu führen. Eine wichtige Besonderheit war auch die Vernetzung von Stadt und Land: Die Städte hoben sich nicht, wie viele Freie Reichsstädte in Deutschland, von ihrer feudal-unfreien Umgebung ab, sondern Stadtund Land wurden gleichermaßen in die gemeindlich-kantonale Unabhängigkeit einbezogen.
    Damit war «die» Schweizer Demokratie jedoch nicht fertig ausgebildet, um nur noch bis in unsere Gegenwart bewahrt, vielleicht hier und da angepasst, zu werden. Die Jahre um 1800 markierten, wie für die politische Geschichte Kontinentaleuropas insgesamt, einen scharfen Einschnitt. Unter dem Druck des revolutionären Frankreich und Napoleons entstand 1798 die kurzlebige «Helvetische Republik»: ein zentralistisches Gebilde, in dem die Kantone zu Verwaltungsbezirken wie die französischen Départements degradiert wurden. Schon 1803 gab Napoleon nach; die «Mediationsakte» konstituierte die Schweizerische Eidgenossenschaft wieder als einen Staatenbund. Zwölf Jahre später bestätigte der Wiener Kongress deren Unabhängigkeit und arrondierte mit der Zuordnung neuer Kantone das Staatsgebiet in seinen heutigen Grenzen. Auch an der nächsten großen Zäsur der europäischen Geschichte, der Revolution von 1848, hatte die Schweiz indirekten Anteil. Denn am 12. September trat eine neue Verfassung in Kraft, die aus dem Staatenbund einen Bundesstaat mit parlamentarisch-repräsentativer Verfassung machte. Damit endete ein tieferer innerer Konflikt, der 1845 sogar zu der Abspaltung einer konservativ-katholischen Minderheit der Kantone von der liberal-reformierten Mehrheit und schließlich in einen Bürgerkrieg, den Sonderbundskrieg von 1847, geführt hatte. Seit 1848 ist Bern die «Bundesstadt» der Schweiz, die offiziell nicht «Hauptstadt» heißen darf.
    Tatsächlich bewegte sich die Schweiz während des ganzen 19.Jahrhunderts weithin im Hauptstrom der politisch-sozialen Entwicklung Europas. Auf den Wiener Kongress folgte eine konservative Restaurationszeit; im Umfeld der französischen Julirevolution von 1830 wendete sich das Blatt zu einer liberalen Entwicklung: Die «Regeneration» von 1830/31 entmachtete in vielen Kantonen die aristokratischen Familien und führte wie in Frankreich und Deutschland in eine Dynamik politischer Radikalisierung, bei der sich die Demokraten von den nun als halbherzig geltenden Liberalen abspalteten. Die 1860er und frühen 1870er Jahre waren, erneut wie in Deutschland, eine Phase des Aufbruchs und der demokratischen Reform. Doch zugleich schlugen Demokratie und Partizipation einen charakteristischen eigenen Weg ein. Während anderswo repräsentativ-parlamentarische Verfahren gestärkt wurden und als Königsweg zur Volksherrschaft galten, etablierte sich in der Schweiz mehr und mehr die direkte Demokratie: die politischeSouveränität des Volkes (bzw. der vollberechtigten Stimmbürger) in unmittelbarer Beteiligung. Die direkte Demokratie der Schweiz in ihrer heutigen Gestalt führt also nicht bis in die Zeiten des Rütlischwurs zurück, sondern ist eine vergleichsweise junge Erfindung des 19. Jahrhunderts. In der Geschichte der Schweiz ist sie auch nicht die «ursprünglichere» Form von Demokratie, die sich der «moderneren» Entwicklung zur Repräsentation verweigert hat, denn der direkten Demokratie ging eine – wenn auch relativ kurze und schwache – Phase der repräsentativen durchaus voraus, mit dem Höhepunkt von 1848.
    Die wichtigste Etappe auf dem Weg bildete seitdem die Verfassungsreform von 1874 im Bund, die ihrerseits auf einer breiten demokratischen Bewegung in den Kantonen seit den frühen 1860er Jahren aufbaute. Aus deutscher Perspektive gesehen setzten die vehementen Proteste des Volkes in diesem Jahrzehnt manche Impulse des Vormärz und der Revolution von 1848 fort: Der Hass auf die professionelle Regierung und Verwaltung, auf Beamte und den «Bürokratismus» war groß; der emphatische Appell an das «Volk» und seine unmittelbare Freiheit vermochte ein breites soziales

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