Was ist Demokratie
begannen den Alltag zu durchdringen. Kaufleute und Unternehmer verlieÃen den traditionellen Rahmen der zünftischen Wirtschaft und wurden zur Keimzelle eines neuen Bürgertums. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts traten technische Erfindungen hinzu, besonders die Dampfmaschine, die den modernen Bergbau erst möglich machte und damit das Zeitalter fossiler Energien einläutete. In England begann, noch vor der politischen Revolution Frankreichs, die Industrielle Revolution, und manch andere Regionen Nordwesteuropas und Nordamerikas folgten schnell nach. Vorbereitet durch eine lange Geschichte kolonialer Expansion, übernahm der europäisch-nordatlantische Raum â der «Westen», wie man jedoch erst später sagte â für die nächsten zwei Jahrhunderte eine globale Führungsrolle.
Nicht die wirtschaftliche und technische Beschleunigung jedoch hat dem Zeitalter seinen prägnantesten Namen gegeben, sondern eine geistige, politische und kulturelle Bewegung: die Aufklärung. Beides lässt sich nicht voneinander trennen â im Zeichen der Aufklärung versuchten Regierungen die Effizienz der Landwirtschaft mit wissenschaftlichen Methoden zu steigern oder schlossen Unternehmer sich auf der Suche nach Investitionschancen und Absatzmärkten zusammen. Aber im allgemeinsten Sinne beflügelte die Menschen ein optimistischer Geist des Aufbruchs und der Gestaltbarkeit einer Welt, die ihrer vermeintlichen Schicksalhaftigkeit entrissen wurde. Wissen leitete sich nicht von Tradition oder Dogmen her, sondern aus der empirischen Erkenntnis der Natur und ihrer Gesetze, so wie Isaac Newton angeblich aus dem Fall des Apfels auf die Gravitationsgesetze schloss. Politische und soziale Ordnungen waren nicht statisch, sondern sie entwickelten sich, sie entfalteten sich als eine bürgerliche Gesellschaft, die statt auf ständischen und korporativen Bindungen auf freien Vertragsbeziehungen von Individuen beruhte.
Die englisch-schottische Aufklärung eines Adam Smith oder Adam Ferguson entwickelte diesen Gedanken für die Ãkonomie, aber nicht im Sinne eines späteren «Manchesterliberalismus», sondern auf der moralphilosophischen Basis eines Menschenbildes, das Individuum und Solidarität auszubalancieren versuchte. Dieselbe Spannung trieb aber auch die Staatstheoretiker der Aufklärung um, auch wenn die Antworten sehr unterschiedlich ausfallen konnten: Für Thomas Hobbes beendete der starke Staat den ungeregelten Konflikt der Individuen und schuf damit geordnete Freiheit. John Locke zeichnete in seiner «Zweiten Abhandlung über die Regierung» am Ende des 17. Jahrhunderts ein positives Bild der individuellen Freiheit in einem fiktiven, vorpolitischen «Naturzustand». Trotzdem unterstellten sich die Menschen, auch zur Sicherung des Eigentums, einer Regierung, gegen die sie aber ein Recht des Widerstandes und der Revolution in Anspruch nehmen konnten. Zwei Generationen später ging auch Jean-Jacques Rousseau in seiner Schrift über den Gesellschaftsvertrag (1762) davon aus, dass alle Menschen in gleicher Freiheit geboren waren â und doch sah er sie «überall in Ketten», weil die Regierungen nicht frei waren und nicht den «allgemeinen Willen» des Volkes zum Ausdruck brachten. Der emphatische Radikalismus Rousseaus umfasste die Idealisierung einer ursprünglichen, radikal-individualistischen Freiheit ebenso wie das Ziel einer kollektiven und möglichst homogenen Verwirklichung des Gemeinwohls in politischen Institutionen â eine Spannung, die weit über Aufklärung und Französische Revolution hinaus wirksam blieb.
Die freie und vernünftige Selbstregierung von Natur aus freier Individuen stieg, in vielen Varianten, zur politischen Leitvorstellung zumal der späteren Aufklärung, etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, auf. Auch spielte der Begriff «Demokratie» in den politischen Schriften dieser Zeit eine wichtigere Rolle als früher. Neben das überlieferte griechische Fremdwort traten Versuche der Ãbersetzung, der Eindeutschung; man sprach von der «Regierung des ganzen» oder des «gemeinen Volks», gelegentlich auch schon von der «Volks-Regierung». Eine Demokratie im modernen Sinne, wie sie sich seit den Revolutionen und vor allem im 19. Jahrhundert herauskristallisierte, lag jedoch noch nicht im Horizont der Aufklärung. Zum einen blieb die Idee vom freien Individuum
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