Was ist Demokratie
begrenzt: Mit ihr waren prinzipiell nur Männer gemeint, häufig nur solche von gewissem Status und bürgerlichem Besitz. Der Appell an die Freiheit grenzte sich emphatisch von der «Sklaverei» ab. Im Zeitalter des europäischen Kolonialismus und der massenhaftenVersklavung von Afrikanern zielte das jedoch in der Regel nicht auf die Abschaffung der Sklaverei oder gar eine frühe multikulturelle Gesellschaft. Vielmehr bestärkte der Ausruf der weiÃen Aufklärer, nur ja kein Sklave mehr sein zu wollen, die Selbstverständlichkeit der Unterscheidung von Freien und Unfreien auf subtile Weise.
Zum anderen verblieb das Reden von der Demokratie selbst in der späten Aufklärung noch weithin in überlieferten Deutungshorizonten. Zwar sprengte das Naturrecht den Aristotelismus. Doch unter Demokratie verstand man in der Regel weiterhin, der klassischen Tradition folgend, eine Regierung des «gemeinen», also des einfachen Volkes, die für sich nicht stabil sein könne und durch aristokratische Elemente mindestens ergänzt werden müsste â nicht im Sinne erblichen Adels, sondern einer Regierung der «Besten», der Gebildeten und Verständigen. Wichtiger noch, Demokratie meinte auch noch in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts, bei Rousseau ebenso wie bei Immanuel Kant, die unmittelbare Herrschaft des Volkes, die direkte Demokratie der Volksversammlung, wie sie in Stadtrepubliken oder Schweizer Kantonen praktiziert werden konnte. Parlamentarismus und Repräsentation fielen nicht darunter. Der Leitbegriff für den freien Staat, der Gegenbegriff zur Tyrannei oder, wie man damals bevorzugt sagte, zur «Despotie» war die «Republik», und anders als im modernen Verständnis (das, wie wir sehen werden, erst in der Amerikanischen und Französischen Revolution zum Durchbruch kam) konnte das durchaus auch eine Monarchie sein, wenn sie vernünftig handelte, das Wohl des Volkes bedachte oder das Volk an der Regierung beteiligte.
Noch 1795 warnte Kant in seiner Schrift «Zum ewigen Frieden» eindringlich davor, republikanische und demokratische Verfassung zu verwechseln. Wie seit zweitausend Jahren unterschied er drei «Formen der Beherrschung» nach der Zahl: einer, viele oder alle â das war dann die Demokratie oder «Volksgewalt». Entscheidender war ihm daneben der Unterschied zweier «Regierungsformen»: der republikanischen und der despotischen, wobei er, Montesquieu folgend, die letztere durch Eigenmächtigkeit und Willkür, den Republikanismus dagegen durch die Trennung ausführender und gesetzgebender Gewalt definierte. Und gerade die Demokratie sei «notwendig» ein Despotismus, meinte Kant, weil sie diese Trennung (als direkte Demokratie verstanden!) eben nicht vollziehen könne. Andererseits gelangte Kant auf diese Weise zur Würdigung der Repräsentation, die ihm â anders als Rousseau â geradezu eine notwendige Bedingung der politischen Freiheit war.
Der Historiker Jonathan Israel hat kürzlich eine Lesart der Aufklärung präsentiert, in der ihre radikalen Strömungen ganz modernen Prinzipien folgten: «Demokratie, Gleichheit der Rassen und Geschlechter, individuelle Freiheit der Lebensführung», und vieles mehr. Dieses Bild ist anachronistisch; es beruht auf der Rückprojektion von Idealen, die sogar erst im späteren 20. Jahrhundert vollends denkbar und praktisch wurden, wie das Ideal expressiver Selbstbestimmtheit der Lebensführung. Und was die Demokratie betrifft, liegt Israel schlicht falsch: Es waren nicht die radikalen Strömungen der Aufklärung, die sich durch eine «anti-rousseauistische Präferenz für repräsentative Demokratie» auszeichneten. Vielmehr bevorzugten die radikalen Strömungen in Aufklärung und Revolutionen des 18. Jahrhunderts beinahe überall die direkte Demokratie, während die Repräsentation eher ein Prinzip der Moderaten war, mit dem die Unberechenbarkeit des einfachen Volkes institutionell gebändigt werden sollte.
Davon zu unterscheiden ist die soziale Praxis von Aufklärung, in der man Vorübungen für eine demokratische Gesellschaft erkennen kann. Menschen begegneten sich auÃerhalb ihrer korporativen Bindungen â nicht als Herr und Knecht, nicht als Mitglieder eines Adelsverbandes oder einer Handwerkerzunft, der sie mehr oder weniger zwangsläufig angehörten und die über ihr Lebensschicksal
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