Was ist Demokratie
bestimmte. Gemeinsame Interessen und Ãberzeugungen führten seit dem späten 17. Jahrhundert Bürger und aufgeschlossene Adlige zusammen: in wissenschaftlichen Vereinigungen, in Bildungs-, Lese- und Geselligkeitsvereinen, in Vereinen zur Beförderung wirtschaftlicher Reformen oder zu Unterstützung und Genuss der schönen Künste. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts drang das Prinzip der «Assoziation», der freien Vereinigung, explosionsartig vor und erfasste auch kleinere Provinzstädte mit der Gründung einer Lesegesellschaft oder einer Freimaurerloge. Trotz der Aura des Arkanen, des Geheimnisses, mit der sich die Freimaurer und andere aufgeklärte Zirkel umgaben, etablierte sich damit eine neue Form von Ãffentlichkeit: als eine Sphäre der gesellschaftlichen Selbstorganisation, unabhängig von der öffentlichen Selbstdarstellung des monarchischen Staates, und häufig ihr gegenüber kritisch
Dabei stand die Aufklärung dem Staat keinesfalls feindlich gegenüber, schon gar nicht in Kontinentaleuropa, wo Fürsten wie Friedrich der GroÃe in PreuÃen oder Joseph II. in Ãsterreich die Aufklärung adaptierten und in eine staatliche Reformpolitik übersetzten. Die sozialePraxis der Aufklärung wirkte unmittelbar in die Vielfalt demokratischer Assoziation im 19. Jahrhundert fort, in Vereine und Parteien, Verbände und Gewerkschaften. Als Staatsprojekt jedoch stieà die Aufklärung an eine Grenze, die im späten 18. Jahrhundert erst durch die Revolutionen in Nordamerika und Frankreich überwunden wurde. Auch da, wo diese Revolution fehlte, wie in Mitteleuropa, blieben die tiefe Erschütterung und politische Zäsur nicht aus. Eine evolutionäre Entwicklung deutscher Demokratie aus dem Geiste friderizianischer oder josephinischer Aufklärung ist schwer vorstellbar.
Gleichwohl legte die Aufklärung vielerlei Fundamente für eine Brücke in die moderne Demokratie â die Fundamente selber sind inzwischen teilweise entbehrlich geworden. Die Aufklärung hat also den Weg bereitet, aber wir benötigen ihre Denkmuster und Begründungen nicht mehr zur Rechtfertigung von Demokratie in der Gegenwart. Das gilt zum Beispiel für das naturrechtliche Denken, mit dem Freiheitsansprüche in einer Welt der Tradition angemeldet werden konnten; es wirkt nur noch als Schatten in Diskussionen über die unveräuÃerlichen Menschenrechte nach. Ebenso brach die Idee eines vernunftgemäÃen Fortschritts mit der Statik der vormodernen Welt, und die exakten Naturwissenschaften stützten den Anspruch auf die rationale Erfassbarkeit und Konstruierbarkeit politisch-sozialer Ordnungen ab. Im 20. Jahrhundert hat das klassifikatorische Ordnungsdenken der Aufklärung sich als zutiefst ambivalent erwiesen, wo es der Diskriminierung, Aussonderung und Verfolgung von Menschen diente. Anstelle der scheinbar eindeutigen Vernunft ist die «Dialektik der Aufklärung» getreten, wie sie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno 1944 aus dem amerikanischen Exil beschrieben.
Die Ãberzeugung von einem groÃen historischen Prozess des Fortschritts ist in den letzten Jahrzehnten weithin verloren gegangen, ohne dass die Demokratie dadurch Schaden genommen hätte. Andere Prinzipien der Aufklärung jedoch sind bis heute für den Anspruch auf Selbstbestimmung und freie Selbstregierung unaufgebbar: der Individualismus, die Anerkennung freier Gleichheit und die darauf ruhenden Menschen- und Bürgerrechte; die Anerkennung des Anderen in der Toleranz; auch das von Kant beschriebene Prinzip des «Ausgangs aus der Unmündigkeit». In diesem Sinne ist der Anspruch auf Demokratie auch in einer nachaufklärerischen Zeit immer Anspruch auf Emanzipation geblieben. Der aufklärerische Gestus hat seine Selbstgewissheit eingebüÃt, und die Vorstellung von politischer Herrschaft als Menschenwerkfindet ihr spätes Echo in Theorien einer «bescheidenen» Demokratie: Demokratie handelt von der Kontingenz der Dinge, von dem Auch-anders-sein-Können, eher von der Suche als von der definitiven Lösung.
III Revolutionen
Demokratie und Revolution â das klingt nach Klischee, nach einer Bilderbuchgeschichte der Demokratie, die zwischen Barrikaden und Bastillesturm plötzlich aus dem Ei schlüpft. Die Wirklichkeit war komplizierter, aber ohne die Dynamik von Revolution ist die Entstehung moderner Demokratien und Republiken
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