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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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die deutsche Revolution von 1848/49 im Ergebnis oft als eine gescheiterte Revolution. Sie ist weniger deshalb gescheitert, weil es keine Revolutionäre, keine Liberalen und Demokraten gegeben hätte, sondern weil deren Gegner, die monarchischen und adligen, bürokratischen und militärischen Kräfte nicht entscheidend geschwächt werden konnten. Das wiederum hatte mit der dezentralen politischen Geographie zu tun, in der nicht wie in Frankreich ein Erfolg in der Hauptstadt das nationale Blatt schon entscheidend wenden konnte.
    Ganz ohne Erfolge blieb die Revolution gleichwohl nicht; die Uhr ließ sich auch in der nachfolgenden Zeit der «Reaktion» nicht mehr ganz zurückstellen: Preußen und Österreich waren nun Verfassungsstaaten, die Reste der feudalen Gesellschaft im Süden gesprengt, ein neuer Erwartungshorizont für zukünftige Veränderung geschaffen. Dennoch ist das Scheitern in der Hauptsache nicht wegzudiskutieren und hat die weitere Entwicklung von Freiheit und Demokratie in Deutschland verzögert, die Herausbildung einer demokratischen Kultur beschädigt. Viele Demokraten und Republikaner flohen vor Verfolgung in die Schweiz, nach Frankreich, in die USA. Angstformeln von der «roten Republik» konnten kursieren. «Gegen Demokraten helfen nur Soldaten» hatte ein Berliner Flugblatt 1848 verkündet – das hallte nach der militärischen Niederschlagung der Revolution im Sommer 1849 erst recht lange nach.
    Man muss sich davor hüten, von der «gescheiterten Revolution» eine Einbahnstraße zwangsläufiger Entwicklung weg von der Demokratie, gar bis zum Nationalsozialismus zu konstruieren: einen «Sonderweg», demzufolge die Deutschen eine Revolution nicht machen konnten und der ihre moderne Geschichte mindestens bis 1945 schicksalhaft bestimmte. Aber ein Rückschlag für die Demokratie bleibt es doch. Er zeigt sich bis heute als farblose Erinnerung. Den «Platz des 18. März» in Berlin, auf der Westseite des Brandenburger Tores, kennen wohl nur wenige beim Namen, und noch weniger können ihn mit dem Höhepunkt der Barrikadenkämpfe in der preußischen Hauptstadt1848 in Verbindung bringen. Auch im gemeinsamen europäischen Bewusstsein, in der Demokratieerinnerung der Europäischen Union, ist «1848» kaum verankert. Dabei hat dieser Völkerfrühling in jüngerer Zeit Nachfolger in grenzüberschreitenden Demokratiebewegungen gefunden: 1989 in Mittel- und Osteuropa und 2011 im «arabischen Frühling» Nordafrikas.
7 Nationalismus und Demokratie
    Nation und Nationalismus – steht das nicht für Überheblichkeit und Aggressivität, für den Mangel an Toleranz und die Unterdrückung anderer, letztlich also: für das Gegenteil von Demokratie? Gerade in Deutschland wird das bis heute oft so empfunden, weil der deutsche Nationalismus sich tatsächlich, vor allem seit dem späten 19. Jahrhundert, von liberalen und demokratischen Strömungen abgelöst hat. Stattdessen ging er eine Verbindung mit der monarchisch-konservativen Gesinnung des Kaiserreichs ein und nahm Elemente des Sozialdarwinismus – das Leben gesehen als Kampf, in dem der Stärkste gewinnt – und des Rassismus auf. Zwar nahm der Nationalismus auch in England oder den USA um 1900 eine ähnliche Wendung, doch wurde er dort, von Ausnahmen abgesehen, nicht so zutiefst antidemokratisch und illiberal wie in Deutschland. Im Nationalsozialismus erreichte diese Tendenz einen Höhepunkt – die selbstverkündete «nationale Revolution» schaffte Demokratie und Freiheit ab. Man kann den Nationalsozialismus geradezu als besonders radikalisierte Variante des Nationalismus verstehen. Deshalb wollten die Westdeutschen ihre Demokratie seit 1945 keinesfalls in der Nation begründen – dass es einen einheitlichen Nationalstaat ohnehin nicht mehr gab, verstärkte das Bewusstsein, damit endlich auf der richtigen historischen Spur zu sein. Erst Mauerfall und Vereinigung von 1990 haben diese Frage wieder komplizierter gemacht.
    Dabei waren Nationalismus und Freiheitsbewegung auch in Deutschland eng verbündet, teils sogar kaum voneinander zu trennen: Im restaurativ-illiberalen Klima des Deutschen Bundes von 1815 kam die Berufung auf die Nation radikaler Opposition gleich und meinte ein Eintreten für die Rechte des Volkes und individuelle Freiheiten des Bürgers. Schwarz-rot-gold wurde zu den Farben der

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