Was ist Demokratie
Wandel. Die Grünen bestehen seit über dreiÃig Jahren und wachsen seither in meist kleinen Schritten. Die SPD verliert seit den frühen 80er Jahren, die Union seit den späten 90er Jahren ihr sicheres 40 Prozent-Plateau. Auf lokaler Ebene sind schon seit langem unabhängige Bürgerparteien und «Freie Wähler» erfolgreich. Grüne und Linke haben gezeigt, dass das Parteiensystem nicht festgefroren ist, sondern Neuerungen hervorbringen kann. Insofern halten sich Erosion und Neubildung durchaus die Waage. Für den parlamentarisch- repräsentativen Kern der Demokratie sind Parteien auch weiterhin kaum verzichtbar. Aber insgesamt geht die Bedeutung von Parteien, angesichts neuer Formen der demokratischen Partizipation, zurück.
3 Anerkannter Dissens:
Opposition
Opposition meint, wörtlich übersetzt, die Gegenposition oder das Gegenüber â nämlich das Gegenüber zur Regierung bzw. zur Parlamentsmehrheit, die gerade die Regierung stellt. Das «Gegenüber» ist durchaus wörtlich zu nehmen, wie ein Blick in das britische Unterhaus bis heute zeigt: Dort sitzen die Abgeordneten nicht nach vorne ausgerichtet, zum Parlamentspräsidenten und zur Regierungsbank (wie im deutschen Bundestag, aber auch im amerikanischen Kongress). Zwei Blöcke von grüngepolsterten Bänken sind vielmehr gegeneinander ausgerichtet, mit einem groÃen Tisch in der Mitte, und in äuÃerster räumlicher Enge, so dass man dem jeweiligen politischen Gegner beim Debattieren auf wenige Meter in die Augen sieht. Der Premierminister, also der Regierungschef, sitzt mit seinen Ministern nicht abgesondert von den Abgeordneten seiner Partei, sondern in der ersten Reihe, der «front bench» des Parlaments. Ihm gegenüber nimmt die nicht regierende Minderheit Platz, wiederum mit dem Oppositionsführer in der vordersten Bank.
Tatsächlich ist die parlamentarische Opposition eine englische Erfindung, in der modernen Form vor allem des 18. Jahrhunderts. Sie bringt die britische Variante von Demokratie und Repräsentation besonders klar zum Ausdruck, auch in den vom Vereinigten Königreich ehemals abhängigen Staaten des Commonwealth wie Kanada oder Australien. Aber auch anderswo verkörpert sie fundamentale Gedanken der Demokratie. An erster Stelle ist die Opposition eine permanente Erinnerung daran, dass Demokratie nur Herrschaft auf Zeit bedeutet. Deshalbbezeichnet man die Opposition auch als «Regierung im Wartestand», die bei einer Veränderung der Kräfteverhältnisse jederzeit die alte Mehrheit und ihre Regierung ablösen kann â und sich darauf auch vorbereitet, zum Beispiel mit der Bildung eines «Schattenkabinetts», dem Experten der Minderheit spiegelbildlich zu den Kabinettsressorts angehören. Umgekehrt ist deshalb auch die Regierung die Opposition von morgen, das heiÃt, sie muss ihre Herrschaft als begrenzt und geliehen verstehen. Damit das funktioniert, muss auch tatsächlich Wechsel stattfinden. Deshalb wird die Opposition schwach, und die Regierung selbstgenügsam oder überheblich, wo eine einzige Partei (oder Koalition) über viele Jahrzehnte an der Macht bleibt, selbst wenn das ein Ergebnis freier Wahlen ist. Die lange Herrschaft der Liberaldemokratischen Partei in Japan in der Nachkriegszeit ist dafür ein Beispiel. Aber nach 1945 mussten sich auch die Deutschen in der Bundesrepublik erst an diesen Mechanismus gewöhnen. Die CDU/CSU tat sich 1969, nach der Bildung der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt, schwer zu begreifen, dass sie nach zwanzig Jahren nicht mehr Regierungspartei war.
Zweitens, und fast ebenso wichtig, ist die Opposition sichtbarer Ausdruck der Tatsache, dass in einer Demokratie unterschiedliche Meinungen, Weltanschauungen und ganz konkrete politische Konzepte nicht nur erlaubt, sondern erwünscht, ja notwendig sind. Im 19. Jahrhundert, im System der konstitutionellen Monarchie, verstand sich das Parlament öfters insgesamt als eine Opposition gegenüber der Monarchie, als Ausdruck des Volkswillens, so als seien die Wünsche des Volkes mehr oder weniger gleichgerichtet, schon weil sie sich gegen den Alleinherrscher, seine verhasste Willkür und Bürokratie richteten. Bismarck und die ihm folgenden Kanzler des Deutschen Reiches seit 1871 regierten, vom Kaiser ernannt, meist ohne sich auf eine eigene Parlamentsmehrheit zu stützen. Die «Parlamentarisierung» der
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