Was ist Demokratie
gröÃeren Toleranz gegenüber der öffentlichen Präsenz von Religion und ihren Symbolen, seien es islamische Kleiderregeln oder das christliche Kreuz. Aber auch in Asien und Afrika haben Konflikte um die freie Ausübung von Religion zugenommen, oder sie werden schärfer beobachtet wie die Situation von Christen in muslimisch geprägten Ländern.
Der Begriff der Religionsfreiheit musste dabei oft neu entdeckt und neu erklärt werden, denn zumal in Westeuropa war er im 20. Jahrhundert in den Hintergrund getreten und wurde oft eher als eine Freiheit einzelner Bürger, oder sich als zunehmend säkular verstehender Gesellschaften,
von
Religion aufgefasst: als die «negative» Religionsfreiheit des privaten Unbehelligtseins durch Religion oder ihrer öffentlichen Abwesenheit. Obwohl sich mit dieser Freiheit von Religion häufig das Bild von Aufklärung und Fortschritt verknüpfte, liegen der historische Ursprung der Religionsfreiheit und ihre Bedeutung für die Demokratie ganz überwiegend in dem, was man zum Zwecke der klareren Unterscheidung jetzt häufig die «positive» Religionsfreiheit nennt: also in der Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung von Religion. Den Begriff der Religionsfreiheit muss man also lesen wie den der Pressefreiheit oder der Redefreiheit; mehr noch: mit genau diesen Freiheiten (oder: Grundrechten) ist die Religionsfreiheit unauflöslich verknüpft, ja hat ihnen entscheidend vorgearbeitet. Deshalb ist sie, im Blick auf die Entstehung moderner Freiheiten, nicht nur ein Element in einem Katalog der Rechte, sondern nimmt sogar einen privilegierten Platz darin ein.
Diese Geschichte führt in Europa fast ein halbes Jahrtausend zurück, als mit der Reformation das religiöse Quasi-Monopol der katholischen Kirche aufbrach und sich in heftigen Konflikten, auch Kämpfen und Kriegen im 16. und 17. Jahrhundert eine neue Situation konfessioneller Pluralität des Christentums etablierte. Man kann im Programm der Reformation, wie es von Martin Luther, Philipp Melanchthon oder Johannes Calvin betrieben wurde, selber AnstöÃe für Freiheit erkennen: mit der Betonung des Individuums und seiner Verantwortung; mit der StoÃrichtung gegen Hierarchien und unbefragte Autoritäten. Wichtiger aber war wohl zweierlei: Zum einen mussten die verfeindeten, im DreiÃigjährigen Krieg oder im Englischen Bürgerkrieg sich geradezu gegenseitig abschlachtenden religiösen Bürgerkriegsparteien wieder befriedetwerden. Das war ein wesentliches Motiv für die Staatstheorie von Thomas Hobbes in seinem «Leviathan» von 1651. Ein starker Staat musste den «Kampf aller gegen alle» beenden â und dabei auch gegenseitige Toleranz in religiösen und weltanschaulichen Dingen durchsetzen. Aber dieser groÃe europäische Konflikt führte â das ist der andere Aspekt â nicht in eine bunte religiöse Vielfalt, sondern in die Aufteilung von Territorien, deren Herrscher eine der Konfessionen für sich übernahmen und sie möglichst auch für ihre Untertanen gelten lassen wollten. «Cuius regio, eius religio»: In wessen Land man wohnt, dessen Religion hatte man auch anzunehmen. So galt es seit 1555 im Reich, und sinngemäà auch für das katholische Frankreich, das anglikanische England oder das lutherische Skandinavien.
Die Verbindung von Staat und Kirche verfestigte sich wie in England im 17. Jahrhundert, wo sich die Reformation in der Variante der «Church of England» durchsetzte und nach Bürgerkrieg und Revolutionen Katholiken von der Thronfolge ausgeschlossen wurden. (Das gilt bis heute!) Damit stellte sich in der Gesellschaft die Frage nach dem Umgang mit Dissens, mit abweichenden religiösen Bewegungen und Gemeinschaften. In England waren das weniger die Katholiken als radikalere Protestanten wie die Puritaner, von denen ein Teil vor der Verfolgung nach Nordamerika floh. In Frankreich hatte das Edikt von Nantes den Hugenotten, der calvinistisch-protestantischen Minderheit, 1598 Toleranz und Bürgerrechte gewährt. Aber Ludwig XIV. widerrief es 1685, und Hunderttausende flohen in die Niederlande oder nach PreuÃen, wo die protestantischen Herrscher sich von ihrer Toleranz auch wirtschaftliche Vorteile versprachen.
Diese Toleranz galt aber unter dem Dach einer Staatskirche. Der entscheidende Durchbruch zur modernen Religionsfreiheit erfolgte im Zuge der
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