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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Amerikanischen Revolution am Ende des 18.Jahrhunderts. Er ging nicht von Neuengland aus, wo sich die Puritaner überwiegend niedergelassen hatten; auch nicht von Pennsylvania, wo mit den Quäkern eine andere protestantische Gruppierung die Politik maßgeblich bestimmte. Zwar hatte sich in diesen nördlichen Kolonien ein beachtliches Maß an religiöser Pluralität und Freiheit durchgesetzt. Aber im Süden war der Konflikt schärfer, weil dort die Anglikaner, die Staatskirche der alten Kolonialmacht, die offizielle Vorrangstellung genossen. Deshalb ging das Streben nach Unabhängigkeit und Republik hier einher mit dem Verlangen nach «disestablishment», nach dem Verlust des Vorrangs der «etablierten» anglikanischen Kirche. Positiv gewendet,bedeutete das Religionsfreiheit, und wurde auch so genannt. Thomas Jefferson aus Virginia, zugleich Hauptautor der Unabhängigkeitserklärung, verfasste ein Jahr später, 1777, die bis heute wohl berühmteste Erklärung der Religionsfreiheit, das «Virginia Statute for Religious Freedom». In heute altertümlich anmutenden langen Sätzen, aber mit großer Emphase erklärte Jefferson darin den Zusammenhang zwischen allgemeiner und religiöser Freiheit.
    1786 wurde die Deklaration ein staatliches Gesetz und verbürgte, dass niemand zu einer bestimmten Religion gezwungen oder wegen seines Glaubens verfolgt werden könne. Jeder müsse frei sein, seine Religion auch öffentlich zu bekennen, ohne Nachteil für seine bürgerlichen Rechte. Wiederum wenige Jahre später fand eine kompakte Fassung Eingang in den allerersten Verfassungszusatz der USA, also in den ersten Artikel der «Bill of Rights». Dieser Artikel ist so bemerkenswert, weil er im selben Atemzug die Rede- und Pressefreiheit festhält, die aus der Religionsfreiheit zu folgen scheinen: Kein Gesetz dürfe eine bestimmte Religion «etablieren» (also als Staatsreligion festlegen und bevorzugen), noch die freie Ausübung von Religion verbieten, noch die Freiheit der Rede und der Presse, die Versammlungs- und Petitionsfreiheit einschränken. Die Religionsfreiheit bildet insofern die Wurzel der Gedanken-, Meinungs- und Redefreiheit.
    Das bedeutet nicht, dass sich Meinungs- oder Pressefreiheit heute nur im Rückgriff auf die Religionsfreiheit rechtfertigen lassen. Aber für die Zeitgenossen des 18.Jahrhunderts hätte die Verbindung kaum enger sein können. Unterschiedliche politische «Bekenntnisse» (wie man freilich nicht zufällig bis heute sagt!) gewannen erst langsam an Bedeutung; Glauben und religiöses Bekenntnis definierten die Menschen in ihrer innersten Identität und in ihren sozialen Beziehungen. Eine «negative» Religionsfreiheit konnte dabei kaum eine Rolle spielen, denn auch die aufgeklärtesten Liberalen, die sich von den klassischen Konfessionen fernhielten und einem freidenkerischen «Deismus» anhingen – auch Jefferson selber! –, waren keine Atheisten, oder auch nur säkular im heutigen Sinne. Dennoch enthält das Virginia-Statut im Kern auch die Rechtfertigung der negativen Religionsfreiheit, weil es eine prinzipielle Freiheit der Weltanschauung begründet und sogar festhält, dass niemand an religiöse Orte – heute würden wir auch sagen: unter religiöse Symbole – gezwungen werden kann. Darin steckt allerdings auch ein Keim des Konflikts beider Religionsfreiheiten, den Jefferson noch nicht sehen konnte.
    Das 19. Jahrhundert war nicht, wie das 18. und dann wieder das 20., eine Zeit der großen programmatischen Freiheitserklärungen. In Europa bewegte sich das Thema der Religionsfreiheit eher in einer Vielzahl politisch-sozialer Konflikte fort, die sich in zahllosen Varianten immer wieder auch mit dem Kampf um Liberalismus und Demokratie verbanden. Die Emanzipation der Juden war vielen Liberalen zugleich ein Symbol für die Anerkennung allgemeiner bürgerlicher Rechte auch von Minderheiten. Vom Vormärz bis in die 1870er Jahre verknüpfte sich religiöser und politischer Dissens in Deutschland immer wieder in Protestbewegungen wie den «Deutschkatholiken». Äußerst ambivalent war der «Kulturkampf» des preußischen Staates und der Liberalen gegen die katholische Kirche in den 1870er Jahren. In seiner Wirkung hat er eine Grundhaltung auch bei deutschen Protestanten folgenreich geprägt, nach der die Verdrängung von Religion aus der

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